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Szene aus "Minecraft".

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Nutzergenerierte Inhalte: Spieler werden Schöpfer

Der Mitmach-Boom in der digitalen Spielekultur blieb lange aus. Nun haben "Minecraft" und "Little Big Planet 2" den Bann gebrochen. Warum wurde das Erfolgsgeheimnis erst jetzt entdeckt?

Über acht Jahre ist es her, da tauchte der Begriff des "User Generated Content" im Zusammenhang mit dem Internet auf. Es war eine Zeit, in der die eigene Homepage noch als Königsweg digitaler Partizipation galt. Doch die Zeiten änderten sich schnell: die Produktion von Texten, Kommentaren, Grafiken, Videos und Audiodateien war nicht länger nur den Medienprofis vorbehalten. Immer mehr Internetnutzer stellten unabhängig und in der Regel ohne finanzielle Entschädigung irgendwelche Inhalte her und machten sie anderen Nutzern zugänglich. All dies sollte der Begriff der "nutzergenerierten Inhalte" auf den Punkt bringen.  

Ursprünglich von den Advokaten des Web 2.0 ins Leben gerufen, um den rasanten Wandel sozialer Kommunikationsformen im Internet zu umschreiben, findet die Modevokabel heute überall dort Verwendung, wo traditionelle Formen der kulturellen oder politischen Partizipation durch das Internet verändert werden. Von der Iranischen "Twitter Revolution" bis zum peinlichen Geburtstagsständchen auf Youtube lässt sich heute damit alles und nichts umschreiben.

Dass dem Begriff im Laufe der Zeit seine Definitionsschärfe abhanden gekommen ist, liegt vor allem an der explosionsartigen Entwicklung der "nutzergenerierten Inhalte" selbst. Der mediale Wandel, den er einst dingfest zu machen versuchte, ist längst hinter den Selbstverständlichkeiten unseres Alltags verschwunden. Mit Youtube, Facebook, App-Store oder der Fotoplattform Flickr hat sich der User Generated Content zu einem undurchdringlichen Gewebe aus netzaffiner Selbstdarstellung und digitaler Teilhabe entwickelt.

Selbst ist der Spieler - nutzergenerierte Inhalte in der digitalen Spielekultur

Auch den Computer- und Videospielen wurde zum Beginn des vergangenen Jahrzehnts ein phänomenaler Zuwachs an Selbstgemachtem vorausgesagt. Vieles sprach zum damaligen Zeitpunkt sogar dafür, dass sich die digitale Spielekultur zu einem der wichtigsten Katalysatoren für die Verbreitung von nutzergenerierten Inhalten entwickeln könnte. Schließlich ist die Kreation von eigenen Spielelementen seit jeher ein fester Bestandteil der Szene. Das "Pinball Construction Set" erschien zum Beispiel schon 1983 auf dem Apple II und dem Atari 800 und belegt, dass die Idee aktiver Mitgestaltung von Beginn an Teil des digitalen Spielens war. Schon damals  konnte man aus virtuell bereit gestellten Elementen seinen eigenen Flipper bauen und diesen dann auf einer handelsüblichen Floppy-Discs mit Freunden tauschen. Der Spieler als Inhaltelieferant – lange vor der Web 2.0-Euphorie. 

Neben diesen historischen Wurzeln beförderte auch die Wissenschaft die aufkeimende Goldgräberstimmung, die sich um das Potenzial der nutzergenerierten Spielinhalte bildete. So wiesen zahlreiche Studien zum Mediennutzungsverhalten nach, dass vor allem die jüngere Generation besonders viel Zeit im Internet verbringt - und das zunehmend mit Computer- und Videospielen. Die Zukunftsarchitekten der Games-Branche rechneten deshalb fest mit den selbst produzierten Inhalten der digitalen Generation. Was fehlte, waren gute Spiele, die den Zeitgeist zu lesen wussten und ernst machten mit dem Konzept der Eigenkreation. Es sollte aber noch Jahre dauern, bis das richtige Spiel für den Durchbruch zum Mainstream gefunden war.

Erste Ansätze - auf der Suche nach dem Erfolgsrezept

Zwar wuchs die Zahl der Spiele, die nutzergenerierte Inhalte in ihrer Featureliste berücksichtigten, stetig an – sei es über die Integration von Mehrspieler-Karten, selbst gefertigte Rennstrecken oder modifizierte Ausrüstungsgegenstände – zu einem echten Kernelement erklärten es aber nur sehr wenige Entwicklerteams. Die Branche wartete auf das "Next Big Thing", das allen anderen Entwicklern den Weg in eine neue Spiele-Epoche weise würde. Gute Ansätze gab es indes genug.

Die "TrackMania"-Reihe des französischen Entwicklerstudios Nadeo zum Beispiel. Der integrierte Editor machte aus dem ansonsten recht durchschnittlichen Rennspiel eine überaus spaßige Baustelle für kreative Streckendesigner. Die Palette, an der man sich zwecks Erstellung eines eigenen Parcours bedienen konnte, reichte von Sprungschanzen, Tunneln, Loops, Röhren bis hin zu zahllosen Dekorationselementen. Das selbst generierte Ergebnis konnte dann zusammen mit Spielern weltweit geteilt und befahren werden.

An Mut und Pioniergeist fehlte es also nicht. Es gab genügend Entwickler, die aus den Spielern mehr machen wollten, als mit fremden Ideen befüllbare Konsumenten. Trotzdem war es erst kürzlich zwei sehr unterschiedlichen Spielen vorbehalten, all das angestaute spielerische Potenzial freizusetzen. Die monumentale Flut an Kreativität, Innovation, Unberechenbarkeit und Ungereimtem, die sich mit dem derzeitigen Erfolg von "Minecraft" und "Little Big Planet 2" über den ausgetrockneten Spiele-Mainstream ergossen hat, ist gleichzeitig auch ein Hinweis darauf, was vorherige Konzepte scheitern ließ.

Die Büchse der Pandora - Little Big Planet 2

Im Fall von "Little Big Planet 2" drängt sich sofort die Frage auf: Warum nicht gleich so? Teil eins erschien im Jahr 2008 auf der Playstation 3 und war kaum mehr als ein sehr potenter Achtungserfolg in der Geschicklichkeitssektion. Der nun erschienene Nachfolger ist auf den ersten Blick ebenfalls nur ein klassisches Jump’n’Run-Videospiel, das die Spieler in der Form einer handgebastelten Puppe, dem sogenannten Sackboy, durch vorgefertigte Abschnitte schickt. Hat man von diesem sehr liebevoll gestalteten, aber letztlich konventionellen Bereich des Spiels genug, beginnt der eigentliche Spaß. Selbermachen lautet dann nämlich die Devise - und zwar alles!

Das verantwortliche Entwicklerteam Media Molecule drückt den Spielern eine riesige Werkzeugkiste in die Hand und schickt sie auf die abenteuerliche Reise eines Spieleherstellers. Nichts ist unmöglich, nichts muss unversucht bleiben. Man wird in den kreativen Stand erhoben, so ziemlich jede nur denkbare Idee verwirklichen zu können. Wie gut das funktioniert, zeigen die über 200.000 Youtube-Videos, die die eigenen Kreationen der User präsentieren.

Hat man sich sein erstes eigenes Spiel zusammengebastelt, kann man es kostenlos über die dafür integrierte Plattform mit allen anderen Usern teilen. Die Anzahl der selbst geschaffenen Level und Mini-Games ist längst im Millionenbereich. Neben der bemerkenswert akkuraten Reproduktion von ganzen Spiele-Klassikern wie "Donkey Kong" kommen täglich wirklich originäre Konzepte hinzu, die zum Teil nie beabsichtigte Elemente enthalten. Media Molecule kommt zusammen mit der Community nicht mehr aus dem Staunen heraus. Die Büchse der Pandora ist geöffnet.

Ende der Notwendigkeiten - Minecraft als Reich der Freiheit

Die Erfolgsgeschichte von "Minecraft" ist nicht minder beeindruckend. Die Indie-Sensation hat Schöpfer Markus Persson nicht nur zum Multimillionär gemacht, sie hat auch einen kreativen Schneeballeffekt hervorgebracht. Das Spiel beginnt als eine virtuelle Robinsonade für Entdeckungslustige. Gestrandet in einer eigens für den Spieler generierten, riesigen 3D-Welt, die aus klobigen Pixelblöcken besteht, macht man sich daran, auf einfachste Weise mit seiner Pixelumwelt zu interagieren. Holz wird gehackt, ein Werkzeug wird hergestellt, ein Haus wird gebaut, Rohstoffe werden erschlossen. Langsam entsteht ein ganz persönliches Reich der Freiheit, in dem sich nichts mehr unmöglich scheint. "Minecraft" braucht kein Spielziel – es ist pure Kreation.

Was die über 2,5 Millionen begeisterten User in ihren zahllosen Welten mit dem simplen Programm erschaffen haben, das lässt sich nur mit einem göttlichen Schöpfungswillen  vergleichen: Originalgetreue Nachbauten ganzer Städte findet man dort, Freizeitparks, Sonnensysteme, die Freiheitsstatue, einen funktionierenden 16-Bit-Computer, haushohe Musikinstrumente, die selbst komponierte Melodien ertönen lassen, ja sogar die Erde selbst wurde längst nachgebaut. 

Was sind die Geheimnisse des Erfolges?

Was haben "Minecraft" und "Little Big Planet 2" also anders gemacht als ihre gescheiterten Vorgänger? Vergleicht man beide Spiele miteinander, wird eines ganz besonders deutlich: In beiden Fällen ist der Weg zum Selbsterstellten auffällig zugänglich gestaltet. Das einführende Tutorial von "Little Big Planet 2" ist sehr ausführlich und vermag auch absoluten Neulingen die Kunst des Level-Baus verständlich zu vermitteln. Das steht im krassen Gegensatz zu Spielen wie "StarCraft II", die die Erstellung von nutzergenierten Inhalten wissentlich den überdurchschnittlich versierten Hobby-Programmieren vorbehalten.

Auch "Minecraft" ist überaus zugänglich. Die ersten Schritte in der eigenen 3D-Welt kommen einem vorsichtigen Ertasten gleich. Der kreative und experimentelle Sog des Spiels stellt sich zudem von ganz alleine ein. Er ist die logische Konsequenz eines Spiels, das man nicht erst erlernen muss. Die Schöpfung eigener Inhalte ist dem Spiel quasi in den Quellcode geschrieben.

"Minecraft" und "Little Big Planet 2" machen in dieser Hinsicht aus Computer- und Videospiel-Laien kreative Experten. Sie setzen bei der Erstellung von "nutzergenerierten Inhalten" nicht allein auf die Hingabe und die Kompetenz der Hardcore-Gamer, sondern haben einen direkteren Weg zu den bisher verborgenen Gestaltungstalenten der Spielergemeinschaft gefunden. Beide Spiele befriedigen darüber hinaus ein weiteres extrem wichtiges Bedürfnis, das eng mit nutzergenerierten Inhalten verbunden zu sein scheint: das der Selbstdarstellung. In "Minecraft" und "Little Big Planet 2" richten sich die eigenen Kreationen immer auch an ein virtuelles Publikum. Dieses Publikum spielt mit meinen Inhalten, erkundet sie, kritisiert sie und verbessert sie. Daraus ergibt sich eine unglaublich potente Dynamik. Die Zahl der Youtube-Videos zu "Minecraft" liegt mittlerweile bei einer viertel Million. 

Wie auch immer die Zauberformel aussieht, "Minecraft" und "Little Big Planet 2" haben sie gefunden. Eine Vielzahl von Nachahmern ist zu erwarten. Es dürften aufregende Zeiten für uns werden.

Wer sich selbst ein Bild von den innovativen, lustigen und unglaublichen Kreationen der User machen möchte, kann dies mit diesen "Minecraft"- und "Little Big Planet 2"-Videos tun.

(Quelle: Funload.de)

Tobias Heidemann

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