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Oberhausener Manifest: Rebellen von einst

Aufbruch der Filmemacher 1962: Eine Arte-Dokumentation erinnert an die jungen Wilden von Oberhausen.

Das ist der Lauf der Zeit: Diejenigen, die Papas Kino den Rest gegeben haben, sind nun auch schon Opas. Der 83-jährige Haro Senft zum Beispiel, mit grau gewordenem Rauschebart. „Hier war nur muffige Wüste“, erinnert er sich an den deutschen Film der 1950er Jahre. Und der war „fest in der Hand der Heimatfilm-Könige“, sagt Rob Houwer (74). Oder in der von „verkappten alten Nazis“, erklärt Edgar Reitz (79): „Wir hatten wirklich ein Problem mit unseren Vätern.“

Die Pioniere des Neuen deutschen Films wurden bereits Ende Februar, als ihr „Oberhausener Manifest“ 50 Jahre alt wurde, in den Feuilletons ausgiebig gefeiert. Arte schiebt nun die Doku „Die Rebellen von Oberhausen“ nach, in der allein die jungen Wilden von einst reden. Am Tag nach der Ausstrahlung werden die Kurzfilmtage in Oberhausen eröffnet, wo 26 Unterzeichner die Welt 1962 von ihrer Botschaft unterrichtet hatten: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“

Autor des filmhistorisch interessanten und kurzweiligen, sich aber doch in zu viele Häppchen verlierenden Werks ist Hansjürgen Pohland, der selbst einer der Unterzeichner war und mit „Das Brot der frühen Jahre“ (1962, als Produzent) und „Katz und Maus“ (1967, als Regisseur) wichtige Beiträge fürs deutsche Kino geleistet hat. Der 77-Jährige hat die noch lebenden Unterzeichner aufgesucht, neben den Genannten auch Alexander Kluge, Christian Doermer, Dieter Lemmel, Ronald Martini, Wolfgang Urchs und Bernhard Dörries. Und wenn es um ihn selbst geht, etwa um „Katz und Maus“, bei dem die Willy-Brandt-Söhne Peter und Lars mitspielten, lässt sich Pohland von Filmhistoriker Robert Fischer interviewen.

Viele Filmausschnitte sind zu bestaunen, manches arg kurz, aber doch beeindruckend. Etwa Kluges „Brutalität in Stein“ (1961) über die Nazi-Architektur in Nürnberg, bei dem die Kamera von Wolf Wirth jeden Stein abzutasten scheint. Oder Ferdinand Khittls Experimentalfilm „Die Parallelstraße“ (1962), in dem die seltsamen Texte einen ganz eigenen Film im Kopf hervorrufen. Die Jagd auf ein junges Mädchen (Eva Mattes) in dem von Rob Houwer produzierten Michael-Verhoeven-Film „O.k.“ (1970), der als Parabel zum Vietnamkrieg die Berlinale erschütterte, erschreckt noch heute.

Die Bedeutung des damaligen Aufbruchs erschließt sich auf diese Weise nur eingeschränkt, dazu fehlen die Bezugspunkte im deutschen Kino, sowohl vorher als nachher. Und ein wenig hastig und überfüllt wirkt diese Werkschau in gut 50 Minuten auch. Aber die Rebellen von einst wirken sympathisch entspannt im Rückblick. Die Eitelkeiten in diesem Selbstgespräch halten sich in Grenzen. Als wichtigsten Erfolg rechnen sie sich – zu Recht – den durch ihren Impuls ermöglichten Aufbau einer Filmförderung an. „Ob wir sehr rebellisch waren, das lass’ ich mal dahingestellt“, sagt der 80-jährige Kluge am Ende gelassen. „Aber dass wir eine Alternative zur Adenauer-Zeit waren, darauf kannst du Gift nehmen.“ Im Anschluss an die Doku gibt es die Chance, einen dieser Filme in voller Länge zu sehen, die wie ein frischer Wind durch die „muffige Wüste“ bliesen: Kluges „Abschied von gestern“ (23 Uhr 10) von 1966, in dem er die Geschichte von Anita G. erzählt, die nach ihrer Flucht aus der DDR auch im Westen kein Glück findet.

Kluge und Reitz sind bis heute namhafte „Alternativen“ im Kulturbetrieb. Aber das einzige aktuelle Werk, das hier von den damaligen Unterzeichnern präsentiert wird, stammt von dem 84-jährigen Dörries. Er zeigt Ausschnitte aus seinem Second-Life-Spielfilm „Auf der Erde zurückzulassende Botschaft“. Sein Avatar hat lange blonde Haare, trägt sein Hemd offen, ist groß, muskulös und natürlich jung. Er ist der einzige Überlebende, der nach einer globalen Katastrophe ins Weltall flieht. Thomas Gehringer

„Die Rebellen von Oberhausen“; Arte, 22 Uhr 15

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