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Auf dem Weg ins Klassenzimmer. In einer ZDF–Sendung verrät „Terra X“, warum Insekten nie eine solche Größe erreichen. Das könnte auch für Schüler interessant sein.

© ZDF und (c) Akqjtn | Dreamstime.

Öffentlich-rechtlicher Mehr-Wert: „Terra X“ wird Wikipedia

Vom öffentlich-rechtlichen Wert zum öffentlichen Wert: Beiträge von ARD und ZDF sollten für nichtkommerzielle Plattformen genutzt werden .

Das Erste und das Zweite Deutsche Fernsehen sind nicht nur die Namen der beiden größten öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deutschland. Es beschreibt auch die prominente Position der beiden auf den allermeisten Fernbedienungen: Platz eins und Platz zwei. Im Internet hingegen ist die Reichweite öffentlich-rechtlicher Reportagen, informierender und einordnender Formate erst mal beschränkt.

Öffentlich-rechtliche Angebote haben dort keinen Startvorteil. Das liegt auch daran, dass digitale Potenziale eines öffentlich-rechtlichen Ansatzes kaum ausgeschöpft werden. Das Pochen auf besondere öffentlich-rechtliche Qualität alleine wird auf Dauer nicht reichen, Legitimität und damit auch nachhaltige Finanzierung öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz zu sichern.

Denn heute ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Netz wie ein gepflegter botanischer Garten. Es wird auf Vielfalt und Bildungsauftrag, aber auch auf Unterhaltung geachtet. Ich kann mir die Blumen und Beete jederzeit ansehen und mit Freunden und Familien genießen, kommentieren und auch über die Gestaltung meckern. Die Gärtner nehmen das zur Kenntnis und machen ihre Arbeit.

Die Mediatheken machen die Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen auch im Netz zugänglich – alle können die Inhalte (bis zur Depublikation) jederzeit online abrufen, aber nicht herunterladen oder bearbeiten. Mediatheken sind also wie Parks ohne Eintrittsgeld, in denen ich mich aber nur auf den festgelegten Wegen bewegen darf. Das ist schön, aber von einem guten Park will ich, gerade im Sommer, mehr verlangen können.

In der überwiegend öffentlich finanzierten Wissenschaft sind offener Zugang und freie Lizenzen längst üblich. Sprachassistenten und Algorithmen arbeiten und trainieren anhand von Material, das frei verfügbar und nachnutzbar ist – die Mediatheken sind es nicht.

Lehrerinnen und Lehrer erstellen Material aber aus eben solchen Quellen – in den Mediatheken dürfen sie zu oft nur abrufen, nicht herunterladen, anpassen, Screenshots verwenden. Der öffentlich finanzierte Rundfunk ist im Vergleich zur öffentlich finanzierten Wissenschaft ein einziges Bündel an Nutzungsbeschränkungen.

Um im Bild zu bleiben: Bei „Roten Rosen“ oder „Tatort“ ist „nur schauen, nicht anfassen“ noch nachvollziehbar. Wenn ich aber Teile, einzelne Blätter oder Früchte gerade aus den Bereichen Information, Wissen und Zeitgeschichte für meinen Unterricht bearbeiten, zuschneiden oder in mein eigenes Material einarbeiten will, darf ich das nicht. Frage ich um Erlaubnis, müssen die Gärtner meistens Nein sagen. Das ist ihr Job, so sind die Vorgaben.

Viel wichtiger für eine Gesellschaft sind öffentliche Parks und Flächen, die alle (zerstörungsfrei) auf verschiedene Arten nutzen können. In der Sonne sitzen, joggen, mit dem Hund spielen, Kindergeburtstag feiern, picknicken oder einen Sportkurs anbieten. Das ist Open Source. Und so ein Park könnte auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein, mit Früchten – da stoßen wir an die Grenzen der Metapher –, die sich zerstörungsfrei verbreiten lassen und der auf diese Weise mit der Zeit größer und wertvoller wird.

Eine Plattform, die nicht nur in der jungen Zielgruppe beliebt ist

Denn Wissen kommt nicht nur aus dem Fernseher, sondern wird in Bibliotheken, in Schulen, in Spielen und auf den verschiedenen heimischen Bildschirmen angeeignet. Nicht umsonst findet das junge Angebot „funk“ von ARD und ZDF vor allem auf YouTube statt – darf aber nicht in der Wikipedia stehen, weil die Lizenzen nicht zueinander passen. Dabei melden inzwischen zahlreiche Menschen Interesse an der Nachnutzung von Archivinhalten an.

Unser Vorschlag lautet daher: Verträge mit Kreativen und Content-Liefernden sollten wo immer möglich so gestaltet werden, dass Interviews, Aufnahmen, Bilder und Grafiken direkt zur einfachen Nachnutzung freigegeben werden können. Zumindest sollten Kreative wählen können zwischen der Hoffnung auf Wiederholungshonorare in der Zukunft oder einem kleinen Bonus hier und jetzt für freie Lizenzierung.

Im Ergebnis kommen öffentlich-rechtliche Angebote so in jedes Medium, in jedes Klassenzimmer und endlich auch auf reichweitenstarke, gemeinnützige Plattformen wie Wikipedia. Eine Plattform, die nicht nur besonders in der jungen Zielgruppe beliebt ist, sondern mit ihrem transparenten Ringen um einen nie erreichbaren „neutralen Standpunkt“ viel besser zu öffentlich-rechtlichen Inhalten passt, als kommerzielle Plattformen wie YouTube, Facebook und Co..

Offene Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte sind aber nicht nur eine Frage von Finanzierung und Verbreitung. Freie Nutzbarkeit öffentlich-rechtlicher Inhalte unterscheidet diese auch deutlich von jenen kommerzieller Mitbewerber. Im Gegensatz zu diesen muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk in vielen Bereichen wie Information, Debatte und Magazinen eben kein Interesse an kommerzieller Nachnutzung haben.

Entsprechende Formate und Materialien unter freier Lizenz zur Verfügung zu stellen, würde den Mehrwert eines öffentlich-rechtlichen Angebots jenseits aller Qualitäts- und Hochkulturdiskussionen unbestreitbar deutlich machen.

Die Redaktion von „Terra X“ hat schon einen wichtigen Schritt getan und versuchsweise Erklärvideos zu Wetter und Klima unter Creative-Commons-Lizenz (CC BY 4.0) veröffentlicht. Wikipedia-Freiwillige haben die guten Clips in Artikel eingebettet, die im November 500 000 Mal aufgerufen worden sind. Die offene Lizenz erlaubt auch, dass Freiwillige Untertitel in anderen Sprachen ergänzen, und leistet so einen Beitrag zu einer europäischen Öffentlichkeit, die immer eine mehrsprachige sein wird.

Wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine exklusive Finanzierung durch alle Mitglieder der Gemeinschaft verteidigen möchte, muss er zentralen Produktionen auch allen zugänglich machen, jedenfalls so frei wie möglich. Creative Commons, also das Einzahlen in die gemeinsame Wissensallmende, wäre der Weg dazu. Diesem können privatwirtschaftliche Akteure naturgemäß nicht folgen. Ihn zu gehen braucht es aber Überblick und einen klaren Arbeitsauftrag der Leitungsebene, damit die Muskeln im eigenen Haus endlich auf breiter Front Bewegung in die Sache bringen.

Leonhard Dobusch ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck und ZDF-Fernsehrat für den Bereich „Internet“.

Lukas Mezger ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des Präsidiums von Wikimedia Deutschland.

Leonard Dobusch, Lukas Mezger

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