zum Hauptinhalt
Der Antisemit Rat Bernart (Hans Moser) landet nach der Rückkehr der jüdischen Bevölkerung in der Heilanstalt. Foto: FAA/ZDF

© FAA/ZDF

Österreichischer Stummfilm von 1924: „Die Stadt ohne Juden“

Der restaurierte Stummfilm von 1924 ist ein einzigartiges Zeugnis jüdischen Lebens und des Antisemitismus in Wien.

Ein älterer Jude wird auf der Straße von drei Männern attackiert. Sie verhöhnen ihn, reißen an seinem Bart. Durch die Straßen ziehen lange Schlangen von Juden, auch in Zügen werden sie außer Landes gebracht. Es sind Szenen, bei denen wohl jeder unvermittelt an die Judenverfolgung im Nazi-Reich, an Deportationen und Todesmärsche denken muss. Doch die Bilder entstammen einem österreichischen Stummfilm aus dem Jahr 1924: „Die Stadt ohne Juden“ nach einem damaligen Bestseller von Hugo Bettauer ist heute ein historisch einzigartiges Filmdokument und -kunstwerk.

„Ich kenne kein vergleichbares Werk, in dem der Antisemitismus so frühzeitig thematisiert und so explizit dargestellt wird“, sagt Nikolaus Wostry, Geschäftsführer des Filmarchivs Austria, das den Film restaurierte und im März 2018 erstmals in Wien aufführte.

Erstmals ist „Die Stadt ohne Juden“ in der restaurierten Fassung nun auch im deutschen Fernsehen zu sehen. Arte und das ZDF hatten einen Beitrag zur Wiederaufbereitung geleistet – im Gegensatz zur Republik Österreich und der Stadt Wien, wie Wostry berichtet. Das Filmarchiv sammelte schließlich mithilfe einer Crowdfunding-Aktion die fehlende Summe, rund 85 000 Euro, für die Restaurierung. Die Menschen, die das Vorhaben unterstützten, „wollten in der Zeit des österreichischen Präsidentschaftswahlkampfs mit einem Kandidaten der extremen Rechten ein deutliches Statement setzen“, erklärt Wostry.

Wirtschaftskrise in Utopia

Der Film erzählt von der Vertreibung der Juden aus der in eine Wirtschaftskrise geratenen Republik Utopia – und von ihrer Rückholung, weil die Krise ohne die Juden nur noch schlimmer wird. Hans Moser ist darin als antisemitischer Rat zu sehen, der angesichts der Rückkehr der Juden irre wird. "Die Stadt ohne Juden" prangert Antisemitismus als inhuman an, reproduziert aber auch Stereotype, wie es nach dem Holocaust nicht mehr möglich wäre, und setzt mitunter ganz unbefangen auf typische Stummfilm-Komik. Kinounterhaltung für ein breites Publikum, mit der Produzent, Autor und Regisseur Hans Karl Breslauer zugleich auf die politischen Zustände vor und nach dem Ersten Weltkrieg anspielte. Mithin auf jene Zeit, sagt Wostry, die auch den damals in Wien lebenden Adolf Hitler maßgeblich beeinflusst habe und die geprägt gewesen sei etwa von der antisemitischen Hetze eines Bürgermeisters Karl Lueger (1897-1910) und anderer Politiker.

„Nicht unbedingt vorwerfen“ will Wostry dem Film, dass er nicht wie in Bettauers Roman in Wien, sondern in einer fiktiven Republik Utopia spiele. Filme seien der Zensur damals viel stärker unterworfen gewesen als Literatur. Tatsächlich sei aber jedem Zuschauer klar gewesen, wer da auf der Leinwand gemeint sei. Und so gab es gegen die Aufführung des Kinofilms auch Störaktionen von Antisemiten. Romanautor Bettauer wurde 1925 von einem Nazi ermordet.

Mühsame Restaurierung

Nach der Einführung des Tonfilms seien Stummfilme „über Nacht wertlos“ geworden, sagt Wostry. Das verwertbare Material sei recycelt, der Rest meist vernichtet worden. Im Filmmuseum Amsterdam wurde 1991 eine Fassung gefunden, in der allerdings die Szenen jüdischen Lebens und der antisemitischen Ausschreitungen fehlten. 2015 tauchte auf einem Pariser Flohmarkt weiteres Material auf, so dass der restaurierte Film nun dem Original und seiner politischen Aussagekraft wieder deutlich näher kommt. Immer noch fehlen zehn Minuten, schätzt Wostry. Komplett neu eingespielt werden musste die Musik, komponiert von der österreichischen Avantgardistin Olga Neuwirth. Und so sind es allein die Töne, die das Wissen um den Holocaust reflektieren können. Thomas Gehringer

„Die Stadt ohne Juden“, Arte, Montag, 23 Uhr 35

Zur Startseite