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Medien: Ohne Furcht vor Tadel

Intransparent und wirkungslos sei der Presserat – die Kritiker erteilen ihm Rügen

„Was ist der Unterschied zwischen einem Staubsauger und einer Redaktion? Im Staubsauger gibt es nur einen Drecksack.“ Michael Ringier, von dem dieses Zitat stammt, kennt sich aus. Er verlegt die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“. Mehr als andere Medien lieben Boulevardblätter den Superlativ, reizen journalistische, juristische und Geschmacksgrenzen aus – und bedienen sich zuweilen zwielichtiger Methoden. Auch „seriöse“ Medien überschreiten immer wieder Grenzen des Zulässigen. Dagegen können nicht nur Betroffene, sondern alle Leser vorgehen und den Presserat anrufen. Schließlich haben sich die Medien für ihr journalistisches Arbeiten Regeln auferlegt, über die der Deutsche Presserat wacht – doch der steht selbst in der Kritik. Angezweifelt werden seine Legitimation, die Transparenz und die Wirksamkeit seiner Arbeitsweise. Der Presserat hat sich der Kritik in Teilen geöffnet und reagiert. So berichtet er künftig viermal im Jahr über konkrete Fälle, wodurch die Entscheidungen nachvollziehbarer werden sollen. Nach Ansicht der Kritiker reicht das nicht.

Der Berliner Rechtsanwalt Christian Schertz vertritt eine ganze Reihe Prominenter gegen Eingriffe in Persönlichkeitsrechte, gegen Schmähkritik oder falsche Berichterstattung. Er fordert „unabhängige, unparteiische und unangreifbare Vertreter in die Gremien des Presserats“, etwa Ethiker, Vertreter der Kirche oder pensionierte Richter mit entsprechender Erfahrung. Schertz präzisiert: „Mithin scheiden sowohl Verlagsjustiziare als auch Betroffenenanwälte aus.“ Viele munkeln, dass Verlagsvertreter innerhalb des Presserats Einfluss nehmen, wenn das eigene Haus betroffen sei. Anders können sie sich nicht erklären, warum ein Blatt, das regelmäßig vor Gericht unterliegt, vom Presserat so selten gerügt wird. Eine pluralistische Struktur, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, widerspräche dem Selbstverständnis des Presserats als Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle: „Wir wollen kein Proporzgremium sein.“

Seitdem der Presserat einen Fall, der vor Gericht als grob rechtswidrig erachtet wurde, als zulässig abgewiesen hat, verzichtet Schertz auf seine frühere Praxis, parallel zum zivilrechtlichen Verfahren für seine Mandanten eine Rüge beim Presserat zu beantragen. Schon die Kommunikation sei schlecht: „Man bekommt keinen Schriftsatz des Gegners, es gibt keine mündliche Verhandlung, zu der man geladen wird, und auch keine Voreinschätzung des Gremiums – nichts. Außer dem Aktenzeichen erfahren sie erst wieder etwas, wenn das Ergebnis der Entscheidung vorliegt.“ Fehlende Transparenz moniert auch die „Bild“-Chefredaktion: die schriftlichen Begründungen seien in der Regel sehr knapp gehalten, es existierten nicht einmal Verfahrensprotokolle. „Stern“-Chef Thomas Osterkorn wünscht sich, dass der Presserat wenigstens „zuerst eingehend die gerügten Blätter über seine Entscheidung informiert, bevor er an die Öffentlichkeit geht“.

Zweifel wirft die Wirksamkeit einer Rüge auf. 26 wurden 2003 wieder ausgesprochen. Schertz hat beobachtet, dass es „immer wieder dieselben Medien sind, die gegen dieselben Regeln verstoßen und – ,business as usual’ – eine Rüge bekommen“. Das kann auch an der Unsicherheit in den Redaktionen liegen. Wurde im einen Fall der Abdruck eines Fotos als zulässig erklärt, führte ein ähnliches Foto im anderen Fall zur Rüge. Sprecherin Ilka Desgranges räumt ein, dass sich das Gremium auch nicht immer sicher sei. Jeder Fall sei für sich zu sehen, es gebe keine generelle Linie. Mehr Sicherheit sollen nun öffentliche Diskussionen mit Experten aus Wissenschaft und Praxis bringen.

Die fehlende Einsicht und die geringe abschreckende Wirkung einer Rüge ist ein weiteres Problem. Schertz sähe es am liebsten, Rügen mit Geldbußen zu kombinieren. Zwar ist der Presserat keine gesetzliche Instanz, darf also keine Geldstrafen verhängen. Eine Spendenverpflichtung, etwa an eine Hilfsorganisation, wäre dennoch denkbar. „Wie teuer müsste eine Rüge für ,Bild’ sein? Wäre derselbe Betrag bei der,Süddeutschen’ angemessen?“, kontert Tillmanns. Er hält die öffentliche Rüge und damit die „Kollegenschelte“ für das wirksamste Mittel: Es würde auch weiter gemordet, obwohl es streng bestraft würde, argumentiert er.

Die Medien werden also weiterhin zusehen, dass sie den Abdruck einer Rüge geschickt im Blatt verstecken. „Es ist in jeder Hinsicht effektiver, den Klageweg vor den Zivilgerichten zu suchen und dort die entsprechenden Ansprüche auf Unterlassung, Richtigstellung und Geldentschädigung geltend zu machen“, sagt Schertz. Seine Meinung zum Presserat steht fest: „Der ganze Aufwand lohnt sich nicht“.

Jeder kann eine Beschwerde beim Presserat einreichen. Ist sie begründet, wird sie bei einem der vier jährlichen Treffen der zwei Beschwerdeausschüsse verhandelt. Die je sechs ehrenamtlichen Verlags- und Journalistenvertreter haben vier Sanktionsmöglichkeiten: den Hinweis, die Missbilligung, die nicht-öffentliche Rüge (um Opfer zu schützen) und die öffentliche Rüge. Sie sollte im betroffenen Medium abgedruckt werden.

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