zum Hauptinhalt
Eine Online-Kampagnenseite der Grünen zur Bundestagswahl.

© Tsp

Online-Kampagnen: Die Parteien und der Wahlkampf im Netz

Vom Fake bis zur App: Wie die SPD, CDU & Co. in diesem Bundestagswahlkampf das Internet nutzen wollen. Für die Piraten ist das Ganze zumindest ein Heimspiel.

Irgendetwas stimmt nicht an diesem Plakat, wird der FDP-Unterstützer, der es zuerst auf Facebook entdeckt hat, wohl gedacht haben. Rainer Brüderles Gut-gemacht-FDP-Daumen steht wie eine Eins. Daneben das vermeintliche Brüderle-Zitat: „Sexismus ist eine Geisteshaltung. Da wird in Dirndln gedacht. Oder überhaupt nicht.“ Das Ulk-Plakat stammte von den Grünen, anlässlich des Herrentags (bundesweit besser bekannt als Vatertag). Doch die FDP verstand keinen Spaß und mahnte die Konkurrenz-Partei wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung ab. „Digitales Klein-Klein“ nennt Christoph Bieber, Politiloge von der Universität Duisburg-Essen und langjähriger Beobachter von Online-Wahlkämpfen, solche Scharmützel. Dahinter steckten oft die Jugendorganisationen der Parteien, die in den sozialen Netzwerken ihre Gruppierung unterstützen. „Richtige Negativ-Kampagnen sehen anders aus“, so Bieber. Ob dieser Sommer mehr davon bringt, „hängt davon, wie personenzentriert der Wahlkampf noch wird“.

Dass das Netz für diese Bundestagswahl wichtiger als 2009 wird, bezweifelt kaum jemand. Doch werden die Parteien das Internet in diesem Wahlkampf ernsthaft zum Dialog mit den Bürgern nutzen? Neben ihren Kampagnenwebseiten gehen fast alle Parteien auch dieses Jahr wieder mit eigenen Mitmach-Plattformen an den Start. Die haben Namen wie „team Deutschland“ (CDU), "mitmachen.spd" , „Meine Kampagne“ (Grüne), „Meine Freiheit“ (FDP) oder „pirat.ly“ (Piratenpartei). Die Linkspartei dagegen hat ihre Plattform „linksaktiv.de“ stillgelegt und setzt voll auf Facebook und Google Plus.

Diese parteieigenen Plattformen richten sich nicht nur an Mitglieder, auch Unterstützer ohne Parteibuch werden gesucht. Die können sich dort informieren und vernetzen, am besten ihre E-MailAdressen hinterlassen und anschließend an Wahlkampfaktionen teilnehmen. Hinzu kommen die Youtube-Kanäle der Parteien, mit Werbefilmchen, Politikerreden und Kuschelinterviews sowie diverse Twitteraccounts. Bleiben noch die Facebook- und Google-Plus-Seiten. „Die Parteien beobachten hier die Alltagskommunikation der Menschen und versuchen, in sie einzudringen“, sagt der Mediensoziologe Jan-Hinrik Schmidt. „Da ist Schnelligkeit gefragt.“

Dennoch, „es ist ein Irrglaube, wenn man meint, dass man in sozialen Netzwerken die Wahl gewinnt“, sagt Axel Bäumer, stellvertretender CDU-Sprecher. Für ihn wie für Steinbrück-Sprecher Michael Donnermeyer ist das Internet eine weitere Möglichkeit um Bürger zu kontaktieren, neben direkten Gesprächen. Nicht einmal die Grünen, die „deutlich mehr“ Geld für ihre Online-Aktivitäten ausgeben, sehen im Wahlkampf die große Internet-Revolution kommen.

Doch damit hören die Gemeinsamkeiten der Parteien diesbezüglich dann auch schon auf. Im Gegensatz zu den Christ- und Sozialdemokraten bezeichnet Robert Heinrich von den Grünen das Netz als ein „zentrales Medium“, ohne das man keine moderne Kampagne führen könne. Während CDU und SPD in diesem Jahr mit dem gleichen Gesamtwahletat auskommen wollen wie 2009, rechnen die Grünen mit Mehrausgaben von mindestens zwei Millionen Euro. Eine Steigerung von über 50 Prozent gegenüber 2009.

Wie bei Barack Obama geht's nicht

„Das Internet ist das am besten messbare Kampagnen-Medium überhaupt“, sagt Heinrich. Hier liegt der große Reiz des Netzes für Kampagnenmacher. Auch die Parteien können mit den marktüblichen Werkzeugen erfassen, wieviele Besucher online ihre Seiten und Beiträge anklicken, welche Themen in den sozialen Netzwerken gerade diskutiert werden und welche nicht. Viel mehr geht nach den deutschen Datenschutzvorgaben nicht. In den USA dagegen konnte das Team von Barack Obama unter anderem durch den Einsatz von Browser-Cookies persönliche Daten von rund 200 Millionen Bürgern sammeln und für die direkte Kommunikation mit ihnen nutzen. Obamas Kampagnenteam verfügte dabei unter anderem über eine Handy-App, die den lokalen Wahlkämpfern verriet, in welchem Haus potenzielle Wähler wohnen.

Für die deutschen Parteien ist die entscheidende Lehre aus den USA eine andere. Das Internet eignet sich hervorragend zur Koordination und Organisation von Wahlkampfaktionen. Paradoxerweise kann gerade das Netz dem Straßenwahlkampf neue Impulse geben. So haben die Grünen eine App für Mitgliedsanträge entwickelt, um Interessenten von der Straße weg, in die Partei aufzunehmen. Die SPD will wieder „verstärkt Hausbesuche machen“, das direkte Gespräch mit den Bürgern suchen.

Fazit: „Bisher haben die etablierten Parteien das Internet nur als digitales Glanzpapier betrachtet, um darin ihre Botschaften abzusetzen“, sagt Christoph Bieber. „Auch die Mitmach-Plattformen ändern daran kaum etwas.“ Dort wird in der Regel nicht über Inhalte diskutiert, sondern die Kampagnenarbeit organisiert. Bieber erwartet von den etablierten Parteien in diesem Jahr vor allem einen Videowahlkampf im Internet. „Wirklich genutzt“, so der Online-Politologe „haben die partizipativen Möglichkeiten des Internets bislang nur die Piraten, und in Ansätzen die Grünen mit ihrem Online-Mitgliederentscheid zum aktuellen Wahlprogramm.“

Nur auf den Partei-Webseiten der Piraten und der Grünen können beispielsweise Kommentare zu den Themen-Beiträgen gepostet werden, ohne dass man sich vorher einen Account mit einem Klarnamen einrichten muss. Besonders bei den Piraten wird diese Diskussionsform rege genutzt. Katharina Nocun, politische Geschäftsführerin der Piraten, sagt: „Wir sind sehr dezentral organisiert und setzen deshalb viele interaktive Online-Werkzeuge zur gemeinsamen Arbeit ein.“ Wo andere Parteien Mitmach-Portale aufbauen, ist die Piratenpartei selbst auf allen Ebenen eine Mitmach-Partei. Der Internet-Wahlkampf sei für sie ein „Heimspiel.“

Agenturen, wie die anderen Parteien sie im Wahlkampf beschäftigen, bräuchten die Piraten nicht. An die Adresse der anderen Parteien gerichtet, fügt Nocun mahnend hinzu: „Die Wahlbeteiligung ist in den vergangen Jahren so stark gesunken. Da kann man nicht nur Show machen.“ Treffender kann man die Herrentagsepisode um das Brüderle-Plakat nicht beschreiben.

Michael Krause

Zur Startseite