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Medien: „Oomph!“ und „Ähs“

Niedersachsen-Band gewinnt Raabs überlangen „Bundesvision Song Contest“

Ach, rufen da die Nostalgiker aus, was waren das für Zeiten, als der „Grand Prix d’Eurovision de la Chanson“ noch nicht „Eurovision Song Contest“ hieß, als dessen Teilnehmerzahl zu überschauen war und der deutsche Vorentscheid als Angelegenheit galt, die die beklagenswerte Schnelllebigkeit der Moderne vergessen ließ! Wen Deutschland zum Kompositionswettstreit entsenden sollte, galt als brisante kulturpolitische Entscheidung, und ältere Herrschaften, personifiziert durch Hans-Otto Grünefeldt, den gestrengen Unterhaltungschef vom Hessischen Rundfunk, hielten Punktetäfelchen hoch, um Heidi Brühl, Inge Brück oder Margot Eskens auf die Reise zu schicken.

Später wurde der Vorentscheid von Hape Kerkeling oder Carmen Nebel moderiert, lange, ehe diese Pilger-Bestseller schrieben oder zu Samstagabendgrößen wurden, und noch später wurden daraus skandalträchtige Auseinandersetzungen mit – Gott hab’ ihn selig! – Rudolph Moshammer, Michelle im Glitzerkleidchen und Big-Brother-Figuren.

Diese Zeiten sind vorbei. Stattdessen begibt sich der federführende Norddeutsche Rundfunk ins ehrwürdige Hamburger Schauspielhaus und präsentiert nicht Ibsen oder Brecht, sondern drei handverlesene Kandidaten, die gegen die übermächtige osteuropäische Konkurrenz auf immer und ewig chancenlos bleiben werden. Vor drei Jahren stieß Stefan Raab, nie um eine Idee verlegen, in dieses trostlose Vakuum, rief seinen „Bundesvision Song Contest“ aus, ließ Sangeskünstler aus allen 16 Bundesländern antreten und macht sich seitdem um den Föderalismus verdient wie kein Zweiter.

Vier sehr lange Stunden währte der „BSC“ – allmählich hat er sich dieses Kürzel verdient – diesmal, live übertragen aus dem Berliner Tempodrom und unterbrochen von Werbeblöcken, die die beruhigende Gewissheit vermittelten, dass die Yogurette immer noch nicht ausgestorben ist. Johanna Klum, von – wie sagte man früher? – „ansteckender“ Heiterkeit, und „Äh“-König Stefan Raab, dessen Moderationstalent sich auch nach vielen TV-Jahren kaum weiterentwickelt hat, führten durch Auftritte unterschiedlichster Stilarten. Die „unglaubliche Bandbreite“ (Raab) reichte vom Rap und Beat bis hin zu Reggae-Adaptionen und besseren Schlagern, gesungen – so weit man es verstehen konnte – in einem Deutsch, das sich bewusst von der Durchanglisierung des „richtigen“ Song Contest absetzt.

Mit Geschick lehnt sich die garantiert Ralph-Siegel-freie Veranstaltung an dessen Vorgaben an, lässt die Punkte von künstlich erregten Außenstellenleitern, die die Performance in Berlin natürlich „super“, „geil“ oder nur „toll“ fanden, in den jeweiligen Bundesländern vergeben und kommentiert technische Pannen – „.... mal eine lustige Erfahrung“ – so unoriginell, wie man es Grand-Prix-Kommentatoren nie erlaubt hätte. Einspielfilmchen, die Bayern, Thüringen oder Bremen mit Hofbräuhaus, Bratwurst und Weserstadion so einfallsarm wie jeder Billigreiseführer präsentieren, ziehen das Ganze in die Länge, und bis das Telefon- und SMS-Wahlverfahren zum x-ten Mal erläutert ist, geht weitere Lebenszeit verloren.

Immerhin, gesungen wurde auch, mal dürftig (Kalle aus Rheinland-Pfalz), mal herrlich altmodisch (Beatplanet aus Brandenburg), mal schmachtend (wie Kim Frank aus Schleswig-Holstein), und das so, dass wir uns nicht unbedingt zurücksehnen nach den Grand-Prix-Ausscheidungen, wie sie uns der Mitteldeutsche Rundfunk in den 1990er Jahren aufnötigte. Am Ende traf sogar Stefan Raabs kühne Prognose „Einige Überraschungen sind heute Abend noch drin“ ein, und Favorit Jan Delay blieb trotz eines hoch professionellen Auftritts nur die Silbermedaille. Geschlagen wurde der sichtlich beleidigte Hamburger von der niedersächsischen Formation „Oomph!“, die – da blieb das Deutsche dann doch auf der Strecke – Marta Jandová – „featurete“. Diese trat an im graubraunen Lehrerinnenkostüm mit großzügigem Dekolletee, wie man es im normalen Schulalltag selten antrifft. Ein schlechter Siegertitel war das nicht, wenngleich er wie fast alle BSC-Beiträge textlich kaum über Andrea-Berg-Niveau lag.

„Pop-Kultur in Reinform“, wollte der sich selbst tapfer lobende Stefan Raab an diesem Abend erkannt haben. Ein bisschen übertrieben das, doch vielleicht sollte der Norddeutsche Rundfunk in der Tat überlegen, sich seinen Vorentscheid zu schenken und „Oomph!“ zum „Eurovision Song Contest“ nach Helsinki zu entsenden. Eine strenge Pädagogin aus Gerhard Schröders Hannover, darauf hat Europa gewartet, und Punkte aus Russland gäbe es dann sicher auch.

Rainer Moritz

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