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Medien: Opfer von Schlagzeilen

Spät, aber heftig bricht das Geschäft von Agenturen wie Reuters und dpa ein

Reuters verdankt seinen Ruf als wichstigster Nachrichtenlieferant dem Scoop, 1865 als erster die Ermordung von US-Präsident Abraham Lincoln nach Europa gemeldet zu haben. Zwei Tage vergingen, bis endlich auch die Konkurrenz hinterhertrödelte. Im Nachrichtengeschäft hängt vieles von Schnelligkeit ab. Agenturen wie Reuters, Deutsche Presseagentur (dpa) oder Associated Press (AP) leben davon, ihre Kunden – meist Zeitungen, aber auch Firmen – mit Nachrichten zu versorgen. In einem Punkt jedoch profitieren Agenturen von der Langsamkeit. Zeigt die Konjunkturentwicklung nach unten, haben Nachrichtenagenturen normalerweise noch genug Zeit, sich auf die schlechter werdende Situation vorzubereiten. Es trifft sie mit meist mehrjähriger Zeitverzögerung, da sie durch langfristige Lieferverträge abgesichert sind.

Sehr schwer getroffen hat es nun jedoch Reuters. Am Dienstag gab der britische Finanz- und Mediendienstleister einen Rekordverlust von 493 Millionen Pfund (735 Millionen Euro) bekannt. Zum ersten Mal seit dem Börsengang im Jahr 1984 schreibt Reuters rote Zahlen. Nun wird noch mehr Personal abgebaut als bisher: Bis 2005 werden 3000 von weltweit 16 000 Arbeitsplätzen wegfallen. In den vergangenen zwei Jahren hatte die Gruppe bereits 2500 Stellen gestrichen. Allein in Europa arbeiten derzeit 9000 Menschen für die Agentur. Reuters-Chef Tom Glocer macht vor allem die Finanz- und Bankenkrise für die Verluste verantwortlich.

Tatsächlich macht das Nachrichtengeschäft nur noch einen kleinen Teil des Umsatzes in Höhe von mehr als fünf Milliarden Euro aus. Über 90 Prozent werden mit Finanzdienstleistungen erwirtschaftet. Offensichtlich trägt das vermeintliche Neugeschäft, Software-Lösungen für die Abwicklung des Wertpapier- und Devisenhandels anzubieten, die Hauptschuld an dem Rekordverlust des Traditionsunternehmens. Auf dem Höhepunkt des Internet- und Börsenbooms schien dies genau die richtige Strategie zu sein. Nachdem in der Londoner City, an der New Yorker Wall Street und in den anderen Finanzzentren jedoch Zehntausende von Bankern und Brokern ihre Stelle verloren hatten, ging die Nachfrage nach den Reuters-Diensten zurück. Dass der Nachrichtenlieferant unbedingt auch die technischen Systeme für die Informationsübermittlung anbieten wolle, sei etwa so, wie wenn eine Fluggesellschaft auch ihre eigenen Flugzeuge bauen wolle, meinen Kritiker. Reuters solle sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren, raten Analysten. Glocer kündigte denn auch an: „Indem wir uns auf die Reuters-Kernkompetenzen als Informations-Dienstleister konzentrieren, können wir unsere Marktanteile halten und sogar ausbauen, uns von den Wettbewerbern absetzen und profitabel werden.“

Ein Vorstandsmitglied von Reuters wird in der „Financial Times“ mit den Worten zitiert: „In der zweiten Hälfte der 90er Jahre haben wir uns von der ganzen Internet-Sache mitreißen lassen und wild investiert.“

Ganz so sehr mitreißen ließ sich der deutsche Platzhirsch unter den Nachrichtenagenturen, die Hamburger dpa, nicht. Doch die Krise der deutschen Zeitungen zeigt mit einer gewissen Zeitverzögerung auch bei ihr erste Ausswirkungen, räumt Geschäftsführer Walter Richtberg ein. 2001 ging es der bekanntesten deutschen Nachrichtenagentur noch gut. 2002 ging der Gewinn nach Steuern dann von 3,5 Millionen um ein Fünftel auf 2,8 Millionen Euro zurück. Auch 2003 rechnet Richtberg mit schwarzen Zahlen. Gespart und umstruktiert wird auch hier überall. Zurzeit bekommen das vor allem die Mitarbeiter der Landesbüros zu spüren. Ein großes Fragezeichen steht hinter dem Jahr 2004. Dann werden nach Angaben von Richtberg mehrere Verträge mit großen Zeitungen auslaufen. Er geht aber nicht davon aus, dass Zeitungen ganz auf die Dienste der Agentur verzichten. So hatte „Bild“ im vergangenen Jahr mit einer Kündigung des dpa-Abonnements gedroht, die „Rheinpfalz“ ist aus sämlichen Verträgen schon vor einiger Zeit ausgestiegen. Dem Beispiel war auch die „Saarbrücker Zeitung“ gefolgt, die aber seit Jahresbeginn wieder zum Kundenkreis der dpa zählt.

Richtberg rechnet nicht mit Kündigungen der Verträge, deren Laufzeit wahlweise ein, drei oder fünf Jahre dauert. Der dpa für ihre Dienste höhere Preise zu zahlen, dazu sind die Verlage zurzeit allerdings nicht bereit. Gleichzeitig verzichten Zeitungen häufiger auf zusätzliche Leistungen, die die dpa neben ihrem Basisdienst anbietet.

Ein weiterer Aspekt schlägt sich in den Geschäftsbilanzen der dpa nieder: Da sie mit den Kunden auf der Grundlage der Auflagenhöhen abrechnet, die Auflagen der Zeitungen jedoch sinken, schrumpfen auch die Erlöse der Nachrichtenagentur. Hinzu kommen 2004 Sonderbelastungen durch die Olympischen Spiele und die Fußball-Weltmeisterschaft, die die Reise- und Kommunikationskosten in die Höhe treiben werden. Ohne weiteres Kostenmanagement wird es bei der dpa nicht gehen. „Der Wettbewerb im Nachrichtengeschäft war nie so heftig wie heute“, sagt Richtberg.

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