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Medien: Polen solidarisch mit „taz“

Korrespondentin Lesser von Vertriebenen-Chefin verklagt

Von Thomas Roser, Warschau,

und Christoph von Marschall

In Deutschland ist es eines unter vielen presserechtlichen Verfahren, aus polnischer Sicht jedoch der Versuch, eine kritische Journalistin mundtot zu machen. Erika Steinbach, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), verlangt von Gabriele Lesser, Polen-Korrespondentin der „taz“ und mehrerer deutscher Regionalzeitungen, eine Unterlassungserklärung – und hat damit einen polenweiten Sturm der Entrüstung ausgelöst. Prominente Politiker und Publizisten haben eine Solidaritäts-Erklärung mit Lesser unterzeichnet, darunter Ex-Premier Tadeusz Mazowiecki, die früheren Außenminister Wladyslaw Bartoszewski und Bronislaw Geremek sowie Adam Michnik, Chefredakteur der größten Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Tenor: An Lesser, die besonders vehement gegen das von Steinbach gewünschte „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin schreibt, solle ein Exempel statuiert werden – auch mit Hilfe des ungewöhnlich hohen Streitwerts von 60 000 Euro.

27 Seiten lang war der Schriftsatz, der Mitte Dezember nach Veröffentlichung ihres Kommentars zur Debatte über das Zentrum gegen Vertreibungen in den „Kieler Nachrichten“ aus Lessers Fax-Gerät quoll. Absender: ein Hamburger Anwaltsbüro. Inhalt: eine beim Landgericht Hamburg eingereichte Klage zur Unterlassung „falscher Tatsachenbehauptungen“. Prozesstermin ist der 27. Februar. Moniert wird der Verweis auf ein angebliches Steinbach-Zitat, dass man den Polen heute keine Kampfflugzeuge mehr schicken müsse, um ihnen die Menschenrechte klarzumachen – es genüge ein Veto in Brüssel. Verbieten will der BdV der Journalistin auch die Behauptung, die Forderung nach dem Zentrum gegen Vertreibungen stehe in Zusammenhang mit dem Bau des Mahnmals für die Opfer des Holocaust. Drittens sei Lessers Darstellung falsch, die Friedensbotschaft der polnischen Bischöfe von 1965 sei ohne positive Antwort der Vertriebenen geblieben.

Lesser nennt Klage und Streitwert absurd. „20 000 Euro pro Satz – von solchen Honoraren kann ich nur träumen.“ Das Honorar für den Leitartikel betrug nicht einmal 200 Euro. „Mich hat man dafür ausgesucht, weil hinter mir als freier Journalistin kein finanzkräftiger Verlag steht“, vermutet die 43-jährige Historikerin. Die bemängelten Passagen seien doch in ähnlicher Form auch von anderen Medien verbreitet worden. Doch weder gegen die „Süddeutsche Zeitung“ noch gegen den zum DuMont-Verlag gehörenden „Kölner Stadt- Anzeiger“, der Lessers Kommentar auch abdruckte, habe der BdV Klage eingereicht. Erika Steinbach erklärt das so: Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ habe die aus ihrer Sicht falschen Behauptungen in einem Interview mit ihr korrigiert; und die „Kieler Nachrichten“ die Unterlassungserklärung unterschrieben. Doch Lesser als Autorin habe das verweigert.

Die polnischen Zeitungen berichten breit über den Fall, das deutsche Presserecht freilich kommt dabei kaum vor. Erika Steinbach ist eine Hassfigur in Polen. Ihre Klage gegen die Journalistin wird als Versuch einer Presse-Dressur mit der Geldkeule gewertet. Die Vorwürfe wirkten wie „an den Haaren herbei gezogen,“ meint das liberale Wochenblatt „Tygodnik Powszechny“. Das eigentliche Anliegen des BdV sei es, nicht nur Lesser, sondern allen potenziellen Kritikern „den Mund zu verbieten“, heißt es in der Solidaritäts-Erklärung der prominenten Politiker und Publizisten. „Frau Steinbach soll auch uns verklagen. Auch wir stehen den BdV-Aktivitäten, die die deutsch-polnischen Beziehungen schädigen, sehr kritisch gegenüber.“

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