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Vermessung eines Staatsfeindes: Andreas Baader in Haft. Foto: NDR

© NDR/BKA

Polit-Doku: Pathos der Tat

Und Licht auf eine Epoche – mit einer ausgezeichneten Dokumentation über Andreas Baader von Grimme-Preisträger Klaus Stern.

Der Junge war immer schon schwierig, aber er hatte es auch nicht leicht. Ihm fehlte der Vater, Mutter und Oma gaben ihr Bestes, doch der kleine Andreas blieb verschlossen, verträumt, ein Außenseiter. Das änderte sich, als Baader herangewachsen war. Jetzt wollte er auffallen. „Er suchte Leute, vor denen er brillieren konnte.“ Als ein ziemlich normaler Angeber klaute er erst mal nur Autos und machte auf lässig, bis er Ende der 60er Jahre von München nach Berlin überwechselte. Dort stieß er auf militante Studenten und hatte sie nun gefunden, die Leute, vor denen er brillieren konnte. Nach der legendären Kaufhausbrandstiftung tauchte er mit Gudrun Ensslin unter und träumte vom ganz großen Coup: dem bewaffneten Widerstand gegen das „Schweinesystem“ BRD. Die RAF entstand. Rainer Langhans sagt über ihn: „Es machte ihm Spaß, die Leute zum Tanzen zu bringen.“

Der Dokumentarist und Grimme-Preisträger Klaus Stern hat aus der Lebensgeschichte des Andreas Baader einen Film gemacht, der das leistet, was Biopics öfter verfehlen: Er hat die Lebensgeschichte in die Zeitgeschichte eingetragen. Und er hat das organisierende Zentrum gefunden, aus dem allein sich Apo, RAF und Baader verstehen lassen, die große Thematik jener Jahre um 1968: das Verhältnis von Theorie und Praxis.

Die Studenten wollten anders und anderes lernen, und sie wollten die Welt ändern. Die Uni ließ sich reformieren – aber die Welt? Die 68er waren verliebt in die Theorie, und sie sehnten sich nach der Praxis. Sie lernten die Welt aus den Theorien neu verstehen, aber das reichte nicht, um sie zu ändern. Praxis war mehr. Was konnte, was musste sie sein?

Auftritt Andreas Baader. Man kann was tun, fand er, und man muss es tun – zum Beispiel die Waffe ergreifen. Baader war kein politischer Kopf. Er war ein Bandit, ein Abenteurer. Er propagierte durch sein Vorbild das Pathos der Tat. Das genügte, um eine Persönlichkeit wie Ulrike Meinhof, die ihn einen „revolutionären Kader“ nannte, zu überzeugen. Endlich mal jemand, der nicht nur labert, sondern was machen will. Ohne jene Sehnsucht nach „umstürzender Praxis“ bleibt unverstanden, wie ein Mann vom Zuschnitt des Andreas Baader die RAF ins Leben rufen und mit Getreuen über Jahre die Republik in Atem halten konnte.

Klaus Stern hat ausgezeichnete Gewährsleute gefunden, die vor der Kamera nicht nur labern, sondern Erhellendes beitragen. Zu ihnen gehören alte Freunde Baaders wie Holm von Czettwitz, Traudel Haas, Jörg Schlotterer und Anwalt Armin Golzem, aber auch die Verteidiger des Systems wie BKA-Mann Alfred Klaus und Richter Theodor Prinzing. Letzterer begibt sich an der Seite des Filmemachers noch einmal in den Stammheimer Gerichtssaal, in dem er gegen den Top-Terroristen zu verhandeln versuchte. Und er sagt etwas Treffendes: Baader war ihm nicht unsympathisch, denn in der Wehrmacht hätte sich der, so Prinzing, als „guter Soldat“ bewährt.

Klaus Stern musste auf Bildmaterial zurückgreifen, das der Zuschauer schon oft gesehen hat. Dass man bei diesem Film aber den Eindruck bekam, es erstmals zu sehen, ist ein Beweis für das Vermögen des Filmemachers, sein Material so anzuordnen und aufzubauen, dass etwas Neues dabei herausspringt. Was eine Biografie, wenn sie denn als Film gelingt, erreichen kann, ist dies: die Einzigartigkeit eines Lebens und eines Menschen, sei er nun Heiliger oder Gangster, so auf die Umstände zu projizieren, dass eine Epoche gleichsam angeleuchtet wird. Das ist hier geglückt.Barbara Sichtermann

„Andreas Baader – Das Leben eines Staatsfeindes“, N3, 23 Uhr 45

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