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Der europäische Ableger von "Politico" startet mit einem Interview mit EU-Kommissionschef Juncker.

© Tsp

Politico.eu gestartet: Mehr Kanon als Solo

Ein Interview mit EU-Kommissionschef Juncker, die Flüchtlingskatastrophe, ein Google-Papier. Die europäische Ausgabe von "Politico" startet ohne großen Paukenschlag.

Politico.eu hat sich ein großes Ziel gesetzt. Die Webseite will das europapolitische Brüssel und damit die EU-Berichterstattung rocken. Drama, Begeisterung, Leidenschaft, das sind die Begriffe, die John Harris, Chefredakteur der US-Plattform, im Mund führt. Das soll mit hohem Personaleinsatz, mit originellem Journalismus für Entscheidungsträger in der Politik und in der Wirtschaft und auf Englisch passieren.

Am Dienstag ist politico.eu gestartet. Erster Aufmacher ist ein Interview mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der - nicht zum ersten Mal - den Verbleib Griechenlands in der Eurozone beschwört. Einen Grexit soll und darf es nicht geben. Zur weiteren Agenda gehören die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer, der EU-Streit mit dem Internetgiganten Google und ein Papier zum digitalen Binnenmarkt. Dieses Papier scheint politico.eu exklusiv zu haben, in seiner Allgemeinheit und in seinem Absichtston kann bezweifelt werden, ob die Überlegungen weitere EU-Karriere machen werden.

Egal, hier hat das Brüsseler Büro von politico.eu, für das die imponierende Zahl von 30 Reportern eingestellt wurden, einen ersten kleinen Scoop gelandet. In einem Podcast mit John Harris und seinem EU-Pendant John Kaminski werden Ziele und Zwecke der Plattform erläutert, das hat einen lockeren, teils witzigen Ton. Kurz, der Start von politico.eu lässt die EU-Mitarbeiter, die Entscheidungsträger und die konkurrierenden Berichterstatter nicht erstarren - weder vor Bewunderung noch vor Neid. Mehr Kanon als Solo, das ist der Eindruck von der Premiere am Dienstag.

"Politico" ist ein Ableger des gleichnamigen US-Angebots, das seit 2007 im Internet und auch als tägliche Zeitung erscheint. Die US-Nachrichtenseite beleuchtet das Räderwerk des Washingtoner Politikbetriebs. Für den Markteintritt in Europa ist der US-Medienkonzern ein Joint Venture mit dem Axel-Springer-Konzern eingegangen. Mit Springer als gleichberechtigtem Medienpartner soll auch der Eindruck vermieden werden, hier würde der US-Medienimperialismus einmarschieren.

Zum Portfolio gehören die Internetseite politico.eu, ein kostenloser täglicher Newsletter, ein gedrucktes wöchentliches Magazin (das erstmals am Donnerstag erscheint), verschiedene Abo-Dienste zu Spezialthemen wie Energie, Technologie oder Gesundheitspolitik. Das europäische "Politico" startet mit Büros in Brüssel, Berlin. London und Paris und konzentriert sich zunächst auf englischsprachige Angebote. Möglichst bald soll auch das für Finanzthemen wichtige Frankfurt/Main hinzukommen. Inklusive nicht-journalistischen Personals sollen bis Jahresende ungefähr 120 Mitarbeiter für "Politco" arbeiten.

US-Chefredakteur John Harris hatte in einem dpa-Gespräch angekündigt, die Themen müssten ernsthaft sein, "aber deshalb muss die Berichterstattung nicht langweilig sein“. Seine Journalisten würden für das Drama der Politik brennen. „Wir versuchen, etwas von dieser Begeisterung, etwas von dieser unterhaltsamen Dimension des politischen Lebens in unserer Berichterstattung zu vermitteln. Es soll Spaß machen, .Politico' zu lesen.“

Bislang sei die Berichterstattung abgehoben und abstrakt gewesen, meint der Politico-Chef

Damit will „Politico“ etwas liefern, was Harris zufolge in der bisherigen Berichterstattung manchmal fehlte - er beschreibt sie als teils „abgehoben, abstrakt, eher auf den Prozess und den institutionellen Apparat konzentriert als auf die Substanz“. Er sei nicht als Medienkritiker gekommen, erklärte er dann auf Nachfrage - es gehe ihm vielmehr um die Ambitionen von „Politico“. Eine Ausgangsbasis hat sich das Magazin mit dem Kauf des Brüsseler Fachblattes „European Voice“ geschaffen.

Finanzieren soll sich das Projekt durch Werbung und Abonnenten des kostenpflichtigen Dienstes „Politico Pro“. Neben der frei zugänglichen Online-Ausgabe sind Informationen per E-Mail geplant sowie eine kostenlose wöchentliche Druckausgabe. Auch Diskussionsveranstaltungen will „Politico“ regelmäßig organisieren.

Ralph Büchi als Präsident von Axel Springer International sieht Politico auch als Blaupause für Journalismus jenseits der gedruckten Zeitung - ein Geschäftsbereich, auf den auch Springer setzt. „Sie haben es geschafft, als digitales Medium innerhalb weniger Jahre zum Leitmedium des politischen Journalismus zu werden - gegen sehr starke eingesessene Konkurrenten, gegen die „Washington Post“, gegen die „New York Times“, gegen das „Wall Street Journal“, sagt Büchi.

Am Donnerstag soll die erste gedruckte „Politico“-Ausgabe mit fast 30 000 Exemplaren erscheinen. Zur Auftaktveranstaltung in Brüssel sind unter anderem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Ratspräsident Donald Tusk angekündigt. Fast eine Pointe: Die Veranstaltung wird auch von Google unterstützt. Die EU-Kommission droht dem Unternehmen wegen mutmaßlicher Behinderung der Konkurrenz mit einer Milliardenstrafe.

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