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Polittalk: Stell dir vor, es ist Krise und keiner talkt

Warum Illner, Plasberg & Co. während der WM-Wochen pausieren

Wie üblich sind die Zuschauer am Fernsehprogramm selber schuld. ARD und ZDF haben es sich nicht nehmen lassen, das Publikum per Anzeige an sein Versagen zu erinnern. „Sie lassen auch 2010 ganz Deutschland mitfiebern“, heißt es da. Weil die Zuschauer Gebühren zahlen, gibt es die „Fußball-Weltmeisterschaft live und unverschlüsselt für alle“. Über die Kollateralschäden hatte sie keiner aufgeklärt: Die großflächigen Übertragungen mit Vorberichterstattung, Live-Spiel und dem nicht enden wollenden Nachher zehren das Restfernsehen aus.

Ein tragendes Format, der Polittalk, fällt in den Hauptprogrammen der WM-Sender ARD und ZDF komplett aus. Die Spitzenverdiener des Mediums haben noch vor dem Anpfiff in Südafrika ihre Schreibtische geräumt. Clever, wie die Moderatoren mit angeschlossener Produktionsfirma nun einmal sind, verbinden sie WM- und Sommerpause. WM-Pause? In fester Überzeugung und senderübergreifender Allianz sind Maybrit Illner, Anne Will, Frank Plasberg oder Sandra Maischberger zu dem Schluss gekommen, dass das politische Leben pausiert, wenn sie pausieren.

Die politischen Krisen pausieren nicht, in Berlin geht es zu wie im Tollhaus, am 30. Juni wird gar ein neuer Bundespräsident – aber welcher? – gewählt. Das treibt viele um, nicht aber die Politiker-Flüsterer vom Ersten und Zweiten. Müssen sich erholen, schon recht, aber so lange und in diesen Zeiten?

Selbstgenügsam, wenn nicht selbstbezogen haben die Wills und Plasbergs dieser Fernsehwelt letzte Botschaften hinterlassen. Es sind Adressen des gehobenen Stolzes. „Anne Will: Mit Spitzenquoten in die Sommerpause“, jubilierte die ARD-Pressestelle am 7. Juni. „Menschen bei Maischberger: Die erfolgreichste Talksendung jenseits des reinen Polittalks verabschiedet sich in die Sommerpause“, jubilierte die ARD-Pressestelle am 9. Juni. „Faktencheck zur Sommerpause: ,Hart aber fair’ verzeichnet starke Zuschauer-Zuwächse“, jubilierte die ARD-Pressestelle am 10. Juni.

Für „Maybrit Illner“ hielt sich das ZDF mit einer Jubelmeldung zurück. Warum eigentlich? Vielleicht deswegen, weil die WM-Pause der Polittalkerin im Zweiten bereits vor allen ARD-Kolleginnen und -Kollegen begann. Illner kehrt allerdings, anders als Will oder Plasberg, erstaunlicherweise am 1. Juli, also noch während der WM auf den Bildschirm zurück und talkt dann unverdrossen weiter bis zum 5. August, mit wem und worüber auch immer. Danach erst macht Illner drei Wochen „echte“ Pause. Der Bundestag hat am 9. Juli seine letzte Sitzung. Ob „Maybrit Illner“ ohne ARD-Konkurrenz Quote machen will? Die ZDF-Sendung erreichte im ersten Halbjahr im Schnitt 2,28 Millionen Zuschauer, fast so viel wie 2009.

„Hart aber fair“ wuchs auf durchschnittlich nie da gewesene 3,78 Millionen Zuschauer in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. 2009 waren es noch 2,98 Millionen. Auch „Anne Will“ legte spürbar zu, mit aktuell 4,22 Millionen Zuschauern, im Jahr zuvor kam der Talk auf 3,8 Millionen. Auch die durchschnittlich 1,76 Millionen für „Menschen bei Maischberger“ sind die höchsten Quoten seit dem Start dieser Talksendung jenseits des reinen Polittalks.

Erfolge im Ersten, die auch Programmdirektor Volker Herres frohlocken lassen. Mit Blick auf „Anne Will“ sagte Herres: „Die Bankenkrise, der Euro-Absturz, die NRW-Wahl, der Präsidentenrücktritt, die Spardebatte – wir erleben eine politisch äußerst dynamische Zeit.“ Das macht diese, aber auch die anderen Talkshows für zahlreiche Zuschauer unentbehrlich. Wie kann es da sein, dass mit dem Argument der Fußball-WM aus dem Studio ins Freie, in die Sommerfrische gelustwandelt wird. Fremdgucken statt selber machen? ARD-Chefredakteur Thomas Baumann weiß immerhin, warum die Talker schweigen: „Dass ein neuer Bundespräsident gewählt werden muss, konnte man natürlich nicht vorhersehen. Sommerpausen von politischen Talkshows sind üblich, lange vorher geplant und orientieren sich an der parlamentarischen Sommerpause. Und in diesem Jahr kommt die Fußball-WM hinzu.“ Das alles klingt nach Fernseh-Planwirtschaft, Baumann ist trotzdem nicht bange. Er sagte dem Tagesspiegel: „Dies alles heißt aber noch lange nicht, dass die politische Berichterstattung stillsteht. Seien Sie versichert, dass wir jederzeit aus aktuellem Anlass Sondersendungen wie ,Brennpunkt‘ oder ,Farbe bekennen‘ ins Programm nehmen, zudem werden Verlängerungen der ,Tagesschau‘ und ,Tagesthemen‘ wie Sonderausgaben der ,Tagesschau‘ dem politischen Geschehen gerecht.“ Wer derart auf dem Quivive ist, wer nichts verpasst, wer braucht da noch Talkshows? Die „Phoenix-Runde“ geht weiter, der „Bericht aus Berlin“ kennt keine WM-Pause, der „Presseclub“ muss dank der unentwegten Politjournalisten der Presse nicht ausfallen.

Ad-hoc-Sendungen von Anne Will sind schwierig, sie weilt in den USA. Frank Plasberg kann sich Einsätze in der WM-Pause aus dem Stand heraus vorstellen. Er halte sich nicht in Übersee auf, ließ er ausrichten. Joachim Huber

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