zum Hauptinhalt

Porträt: Der öffentliche Kranke

"37 Grad": In einer eilig vorgezogenen Reportage zeigt das ZDF einen Rudi Assauer, der das Alzheimer-Leiden akzeptiert hat.

Die Herbstblätter, die Rudi Assauer mit den Füßen beiseite schiebt, haben die Farbe von gelb zu rot gewechselt. Auch dem 67-jährigen Ex-Fußballstar und ehemaligen Manager von Schalke 04 sieht man seine Jahre an, doch seine Haltung ist untadelig wie eh und je, mitsamt Anzug, getönter Brille und Grand-Cru-Zigarre. Nur wenn er sich wieder einmal leicht orientierungslos umschaut oder die Worte verschleift, wird seine Alzheimer-Erkrankung sicht- und hörbar.

Ein Jahr hat das ZDF die Fußball-Legende mit der Kamera begleitet. Am späten Dienstagabend nun ist der Film „Rudi Assauer – ich will mich vergessen“ in der Reihe „37 Grad“ zu sehen. Die Autorin Stephanie Schmidt hatte die Alzheimer-Symptome bei Assauer im Frühjahr 2011 während eines Vorbereitungsgesprächs zu einer anderen Serie bemerkt und es geschafft, Assauer zu überzeugen, seine Erkrankung im Fernsehen öffentlich zu machen. Alzheimer ist eine Form der Demenz, an der in Deutschland 1,3 Millionen Menschen erkrankt sind. Auch in Schmidts Familie ist Alzheimer nicht unbekannt. Und es gab auch zuvor schon Interviews, in denen Assauer seine Erinnerungsschwächen überspielen konnte. Wo hat er seine Frau kennengelernt? Wer gehörte zum Weltmeisterteam von 1990?

Bei den Dreharbeiten häuften sich die unbeantwortbaren Fragen: Wie hieß der Spieler auf dem Foto noch mal? Wo befindet sich der Zigarrenanzünder? In der geballten Form des Filmes ist unschwer zu erkennen, wie es um den Mann mit dem einst so großen Ego bestellt ist. Wie sich Assauer auf einer „Bild“-Veranstaltung immer hilfesuchend nach seinem Team – seiner Frau Britta und der langjährigen Assistentin Sabine Söldner – umblickt, wenn er wieder einmal vergeblich den Namen zu einem Gesicht sucht. Und wie er es immer noch schafft, die Situation mit einem jovialen „Wie geht’s?“ zu überspielen. So geschickt, dass die „Bild“-Journalisten nichts mitbekommen haben. ZDF-Mitarbeiterin Schmidt hatte die Geschichte sogar im eigenen Sender geheim gehalten. Offiziell arbeitete sie mit Assauer an einer Gesichte über 50 Jahre Bundesliga.

Assauers Aussetzer begannen bereits vor inzwischen sechs Jahren, noch vor dem Rauswurf bei Schalke 04. Manche Beobachter hielten das für die Folgen eines ungehemmten Alkoholkonsums. Die „37 Grad“-Reportage war für ihn eine Gelegenheit, die Erkrankung auf seine Weise öffentlich zu machen. Die Reportage soll ihm dabei helfen, die vor ihm liegenden Jahre ohne Anfeindungen zu leben, „einfach fair behandelt zu werden“, wie seine Assistentin es im Film ausdrückt.

Assauer war ein Sinnbild für Männlichkeit, dem Schwäche fremd ist

Andere prominente Sportler sind ähnliche Wege gegangen. Der Fußballer Sebastian Deisler litt unter schweren Depressionen, als er seine Karriere im Alter von 27 Jahren beendete. Erst mit dem Buch „Sebastian Deisler. Zurück ins Leben“ von Tagesspiegel-Redakteur Michael Rosentritt gelang es Deisler, sich der Welt zu erklären. Das Interesse an solchen Erklärungen ist gewaltig: Rudi Assauers Autobiografie „Wie ausgewechselt: Verblassende Erinnerungen an mein Leben“, die er mit dem Journalist Patrick Strasser verfasst hat, gelangte in der Sachbuch-Top-Ten von media control auf Anhieb auf Platz zwei. Das ZDF hatte die Ausstrahlung der Reportage wegen der Buchveröffentlichung um vier Wochen vorgezogen.

Viele Menschen verdrängen Krankheiten wie Alzheimer erfolgreich, auch Assauer hat dies getan, obwohl seine Mutter und sein älterer Bruder ebenfalls an Demenz erkrankten. Und wie bei Deisler schreckt das Schicksal eines Prominenten die Öffentlichkeit und die Medien auf. Von „Stern“ über „FAZ“ bis „Bams“ scheint es nur noch ein Thema zu geben. Rudi Assauer war weit über Fußballerkreise hinaus ein Sinnbild für Männlichkeit, dem Schwäche fremd ist. Mit diesem Bild hat er es bis zur Werbe-Ikone geschafft, zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin Simone Thomalla.

Einige Sequenzen hat Schmidt bewusst nicht in die endgültige Fassung des Films aufgenommen. Um nicht zu viele Momente der Schwäche zu zeigen. Allerdings sind 30 Minuten ohnehin sehr knapp bemessen, um eine so schillernde Figur und eine so erschreckende Krankheit mehr als nur anzureißen. Bei einem Gespräch mit seinem Therapeuten kommt Assauer bei Jahreszahl und Wochentag ins Straucheln, die Stunden der Uhr in einen Kreis einzuzeichnen misslingt auf beinahe abenteuerliche Weise.

Schmidt war es wichtig, dem Bedrückenden etwas Positives entgegenzusetzen: wie Rudi Assauer immer noch gut Tipp-Kick spielt. Oder wie sich die Menschen in seinem Umfeld um ihn kümmern. Und dass die Fans vor „seinem“ Stadion „Ruudi“ rufen und sich darum reißen, mit ihm auf ein Foto zu kommen.

„Rudi Assauer – ich will mich nicht vergessen“, ZDF, 23 Uhr 15

Zur Startseite