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Porträt: Die Frau, die sich lebt

Nach Model, Mama, Medium: Wie die Schauspielerin Natalia Wörner durch „Die Säulen der Erde“ neue Chancen bekommt

Als Natalia Wörner vor einem Jahr aus dem Mittelalter zurückkehrte, kochte sie einen Eintopf. Sie stellte ihn auf ihre Terrasse, damit er gut durchziehen konnte. Als eine Freundin wenig später zum Essen kam, entdeckte sie zwei Schnecken, die sich an der Innenseite des Topfdeckels festgeklebt hatten. Sie zog sie ab, warf sie auf die Terrasse zurück und rührte die Suppe noch einmal kräftig um. „Das wollen wir doch nicht etwa essen?“, fragte die Freundin. Natalia Wörner zuckte mit den Schultern; im zwölften Jahrhundert waren Schnecken im Kochtopf für sie kein Problem gewesen. Und in diesem Moment auch nicht. Ihrem Sohn schmeckte es prima, aber die Freundin verlangte Spaghetti.

Natalia Wörner erzählt die Episode, weil sie auf das Wesen der Schauspielerei verweist. „Das Schöne daran ist, dass man sich auf etwas anderes komplett einlassen kann“, erklärt sie, „und es dann wieder komplett loslassen darf – oder auch muss.“ Fünfzig Drehtage verbrachte sie in Budapest für das Sat-1-Mittelalterepos „Die Säulen der Erde“. Darin spielt sie die Heilerin Ellen, die sich von der Kirche verraten fühlt und von ihr abwendet. Sie pinkelt auf die Bibel und wird schließlich als Hexe angeklagt. Neben ihr spielen Donald Sutherland, IanMcShane, Rufus Sewell. Der Film wurde bereits in 172 Länder verkauft. Ein wenig ist es so, als hätte die Rolle sie selbst geheiligt. Sie ist im Moment ein internationaler Star. „Sie ist das Maß aller Dinge“, schwärmte Ken Follet, der Autor des Bestsellers „Die Säulen der Erde“, über sie.

Natalia Wörner zitiert diesen Satz nicht ohne Stolz. Ihr Antlitz ziert das Cover einer Frauenzeitschrift, die man für einen Euro in einer großen Warenhauskette kaufen kann, zum ersten Mal hat die Schauspielerin eine Autogrammanfrage aus den Vereinigten Staaten von Amerika erhalten. „Der Film“, sagt sie, „ist ein Highlight in meinem Leben, für das ich extrem dankbar bin. Diese Traumrolle hat mich meinem Beruf noch einmal ein Stück nähergebracht. Ich konnte in einem anderen Kontext, mit beeindruckenden Kollegen und in einer anderen Sprache arbeiten.“ Das habe die Welt für sie geöffnet.

Gerade ist sie aus Rom zurückgekehrt. Demnächst dreht sie dort eine Fernsehproduktion. Das Angebot verdankt sie der Follett-Produktion. Ein wenig außer Atem stürmt sie ins Café Einstein an der Berliner Kurfürstenstraße. „Valium bitte“, sagt sie zur Kellnerin, die den Scherz nicht versteht und das Lachen von ihr nicht erwidert. So bestellt Natalia Wörner einen Pfefferminztee und ein Stück Kuchen. „Ich bin kein Magermodel, ich liebe Süßes.“ Im Gespräch verwendet sie häufig Anglizismen. Zwei Jahre war sie mit dem kanadischen Schauspieler Robert Seeliger verheiratet, ihr Sohn wächst zweisprachig auf. „I am pleased“, sagt Natalia Wörner, „ich bin so glücklich mit mir. Ich lebe mich und nicht, was mir jemand aufpfropft. Aber ich lebe auch kein Leben, das mir scheinbar nur so vor die Füße gefallen ist.“

Natalia Wörner wurde vor 43 Jahren in Stuttgart geboren, in einer Halbprovinz, wie sie sagt. Die Lust, einmal die schwäbische Enge zu verlassen, hatte sie schon immer. Ihre Mutter war Lehrerin, sie wohnte zusammen mit ihr, der Schwester, Oma und Urgroßmutter in einem reinen Frauenhaushalt. Die Ehemänner der beiden älteren Frauen waren im Krieg gefallen, Vater und Mutter hatten sich getrennt. Kurz nach dem Abitur ging sie nach New York, die Schauspielerei war so etwas wie ein Mädchentraum und das Lee Strasberg Theatre Institute legendär. Um sich dort ein Studium zu finanzieren, arbeitete sie als Model.

Natalia Wörner ist 1,77 Meter groß, sie hat braune, gelockte, lange Haare, hohe Wangenknochen und grüne Augen. Ihr Aussehen macht sie wirkungsvoll. Sie ist ein Medium für männliche Sehnsüchte – verführerisch und autark, Kokotte und alleinstehende Mama, schön und politisch. Umso mehr verwundert es, wenn sie sagt: „Worauf ich in meinem Beruf wirklich verzichten könnte, ist die Öffentlichkeit. Das ist per se anstrengend.“ Wenn sie für Zeitungen, Funk und Fernsehen Interviews gibt, geht es darin selten um sie allein. Sie wirbt für die Kindernothilfe, träumt von einer Schule, in der Heranwachsende die Liebe lernen können, diskutiert mit der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan über Frauen in Deutschland. Natalia Wörner versucht, alles, was sie tut, in einen Zusammenhang zu stellen, der größer ist als sie selbst. Wenn sie über ihre Rolle in „Säulen der Erde“ redet, dann rückt das Mittelalter plötzlich mitten in die Debatte zwischen Feministin Alice Schwarzer und Familienministerin Kristina Schröder. „Spannender als die Figuren, die ich spiele, ist es, eine Identifikationsbrücke zu schaffen, die eine historische Figur ins Heute überträgt“, erklärt sie. Die Ellen aus dem Mittelalter ist für sie eine „Vorreiterin des Feminismus“.

Zwei Jahre studierte sie in New York, als sie zurückkam, hat sie in Hamburg Theater gespielt und ein bisschen gedreht, „Kauderwelsch“ nennt sie das. „Das hat sich alles so entwickelt“, sagt sie, „ich hatte damals keinen genauen Plan. Früher war das so, heute wissen immer alle gleich Bescheid und sind in Agenturen untergebracht. Im Gegensatz dazu war ich ja geradezu ahnungslos, mein Weg eher ein Blindflug.“

Seit Anfang der neunziger Jahre ist sie im deutschen Fernsehen und Kino zu sehen. 1996 spielte sie in Sherry Hormans Komödie „Irren ist männlich“. 2000 erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis als beste Schauspielerin für „Bella Block – Blinde Liebe“ und „Frauen lügen besser“. Im selben Jahr schrieb ein Fernsehkritiker über sie: „Sich vorwagen, hohes Niveau ansteuern und dabei stets die Kontrolle behalten – so hat Natalia Wörner Karriere gemacht, ohne großen Durchbruch, ohne tiefen Absturz.“ Es war als Kompliment gemeint. Trifft diese Einschätzung heute noch auf sie zu? Natalia Wörner schluckt bei diesem Satz peinlich berührt. „Durchbruch hört sich so an, als würde ich gleich durch die Decke fallen. Überhaupt ist das immer der Blick von außen, ein Bild, das man sich aufbaut. Ich für mich selbst habe vielleicht schon 150 Durchbrüche erlebt.“

Aber man konnte sie in Deutschland nie richtig einschätzen, weder als Person noch als Schauspielerin. Bestimmte Dinge konnte Natalia Wörner eigener Einschätzung nach in diesem Land nur bedingt zeigen, „und umso mehr erlebe ich gerade eine Öffnung, eine Freiheit, die mit mir geschieht, dank der Rolle der Ellen“. Es klingt ein wenig so, als hätte sie die ganze Zeit darum gekämpft, ernst genommen zu werden.

Im Jahr 2004 war Natalia Wörner zusammen mit ihrem Ex-Mann Robert Seeliger in Khao Lak, als der Tsunami sie dort überraschte. Ein Tag, der sie komplett verändert hat. Sie haben schreckliche Bilder gesehen, sie hatte im Anschluss davon berichtet, saß in Talkshows, schrieb Tagebuch, gründete den Verein Tsunami-Direkthilfe. Die Menschen sammelten Geld für ihre Projekte, Fischerboote, eine Schule, Bootsreparaturwerkstätten. Über die Zeit will sie heute nicht mehr reden, sie hat sie abgeschlossen, verarbeitet, mit sich selbst abgemacht, sagt sie. Natalia Wörner liest Bücher von Osho, der vorher Bhagwan hieß, sie meditiert und plant, sich ein Grundstück auf dem Land zu kaufen. Dort will sie selber Honig machen. Das Bienenvolk, sagt sie, habe eine interessante Hierarchie. Es gibt nur eine Königin.

„Die Säulen der Erde“, vierter und letzter Teil, Montag, Sat 1, 20 Uhr 15

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