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Über das brutale Vorgehen des Militärs gegen eine junge Demonstrantin berichtete die Zeitung „Al Tahrir“ im Dezember. Die Zeitung will sich nicht einschüchtern lassen. Foto: AFP

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Porträt: Die Freiheitsschreiber

Die Menschen vertrauen lieber dem, was bei Facebook und Twitter gepostet wird. Wie die ägyptische Zeitung „Al Tahrir“ die jungen Revolutionäre erreichen will.

Daumennagelgroß ist die Narbe auf seinem Kopf. Um sie zu zeigen, schiebt Ibrahim Mansour seine kurzen schwarzen Haare ein Stück zur Seite. Auch wenn die Narbe kaum noch zu sehen ist, wird sie ihn immer an den Tag erinnern, als ihn das Gummigeschoss traf. Knapp ein Jahr ist das jetzt her. Mansour war damals in Kairo auf dem Weg zum Tahrir-Platz, um über die Demonstrationen zu berichten. Auf der Brücke Kasr El Nil, die über den gleichnamigen Fluss führt und von zwei Löwenstatuen geziert wird, ist er getroffen worden.

Heute ziert ein Löwenkopf Manours Zeitung. „Al Tahrir“ heißt sie, benannt nach dem Platz, der für die Befreiung Ägyptens vom Regime Hosni Mubaraks steht. Doch Mansour, der Chefredakteur, fühlt sich nicht frei. Noch immer nicht.

In der Lobby des Hotels an der Friedrichstraße legt Mansour, 46, groß und schlank, seinen Schal lieber nicht ab, zu kalt ist es für ihn in Berlin. Er ist in der Hauptstadt, um sich auf Einladung der Deutschen Welle zusammen mit fünf anderen Journalisten aus Ägypten anzusehen, wie das deutsche Mediensystem funktioniert. Mansour spricht mit Journalisten, besucht die Bundespressekonferenz und auch Merkels Sprecher Steffen Seibert hat er getroffen. Morgen fährt er zurück nach Ägypten – aber die Erfahrungen, die er in Deutschland gemacht hat, wird er in seiner Redaktion nur schwer umsetzen können.

„Es gibt noch immer keine Presse- und Informationsfreiheit in Ägypten“, sagt Mansour. Dafür mehr als 30 Paragrafen, mit denen missliebige Journalisten ins Gefängnis gebracht werden könnten. Unter Mubarak wurden sie eingeführt, unter dem neuen Regierungschef Kamal al Gansuri sind sie weiter gültig. Doch damals wie heute will sich Mansour seine Arbeit nicht verbieten lassen.

Schon bei seinem früheren Blatt „Al Dostor“ musste er sich für seine Recherchen mehrmals vor Gericht rechtfertigen, sein Kollege Ibrahim Eissa verbrachte sogar zwei Monate in Haft, weil er angeblich falsche Gerüchte über Mubaraks schlechten Gesundheitszustand verbreitete. „Natürlich haben seine Recherchen gestimmt, aber über die Wahrheit durfte niemand schreiben“, sagt Mansour.

Wenige Monate bevor Mubarak gestürzt wurde, sei Eissa gekündigt worden, Mansour ging mit ihm. Auf der Website dostor.org berichteten sie weiter, während der Revolution sei die Website eines der wichtigsten Informationsportale gewesen, sagt Mansour. Im vergangenen Juli gründete er dann zusammen mit Eissa die Zeitung „Al Tahrir“, finanziert von Ibrahim El Moallem, der mit seiner Shorouk-Mediengruppe bereits die Zeitung „Al Shorouk“ herausgibt.

In Berlin erzählt Mansour, der sich vom Ägyptischen ins Deutsche übersetzen lässt, was er mit „Al Tahrir“ erreichen möchte: „Wir wollen eine kritische Zeitung sein, die sich vor allem an jüngere Leser richtet.“ Doch diese Zielgruppe anzusprechen sei schwer. „Viele Menschen vertrauen den traditionellen Medien nicht mehr, weil die meisten Zeitungen und Fernsehsender dem Regime jahrzehntelang quasi nur als Verlautbarungsorgan dienten“, sagt Mansour.

Die Menschen vertrauen lieber dem, was ihre Freunde bei Facebook und Twitter posten. Während des arabischen Frühlings wurden die sozialen Netzwerke damit nicht nur zum Nachrichtenkanal, sondern dienten auch als Plattform, um die Demonstrationen zu koordinieren. Mansour will deshalb versuchen, die Nachrichten auf den sozialen Netzwerken in die tägliche Berichterstattung einzubeziehen, um so eine Verbindung zu den jüngeren Lesern zu schaffen. „Al Tahrir“ soll für modernen Journalismus stehen – der vor allem eines ist: kritisch.

Groß zeigte „Al Tahrir“ Ende Dezember unter der Überschrift „Lügner“ das Foto einer jungen Demonstrantin, deren Oberkörper bis auf den blauen BH entkleidet war und die auf der Straße liegend von Soldaten verprügelt wurde. Das Bild ging um die Welt, in Ägypten löste es zahlreiche Proteste gegen das brutale Vorgehen der neuen politischen Führung aus, viele Menschen hielten die „Al Tahrir“ bei den Demonstrationen in die Höhe.

„Das war eine unserer wichtigsten Kampagnen bisher“, sagt Mansour. Rund 100 000 Exemplare verkauft die „Al Tahrir“ heute nach seinen Angaben täglich. Weil es in Ägypten noch immer keine geordnete Führung gebe, könnten er und seine Kollegen relativ frei und kritisch berichten. „Aber ich fürchte den Tag, an dem das Chaos vorbei ist“, sagt Mansour.

Aber auch dann will er weiter schreiben, für die Freiheit. Wenn Mansour über seinen Kopf streicht, spürt er die Narbe.

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