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Medien: Propagandist des Terrors?

Büro bleibt verschlossen: Der TV-Sender Al Dschasira darf im Irak nicht arbeiten

Die Fronten zwischen der irakischen Interimsregierung und dem Fernsehsender Al Dschasira verhärten sich. Während die Regierung die Schließung des Bagdad-Büros von Al Dschasira um einen Monat verlängerte, hält der Sprecher des Senders die Vorwürfe für unhaltbar. „Es gab keinen Grund für die Schließung und ebensowenig Grund dafür, diese zu verlängern“, sagt Jihad Ballout im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Maßnahme liefe allen Versicherungen der Regierung, die Pressefreiheit zu gewähren, zuwider. Die Regierung von Premierminister Allawi dagegen wirft dem Sender mit den höchsten Zuschauerzahlen in der arabischen Welt vor, er ermutige unter dem Deckmantel der Pressefreiheit Gewalt, Hass und ethnische Spannungen. Polizisten hatten das Büro des Senders in Bagdad Anfang August geschlossen und damit die Arbeit im gesamten Irak gestoppt. Nach Angaben Allawis hatte der Nationale Sicherheitsrat die Schließung angeordnet, um die irakische Bevölkerung „zu schützen“.

Der Konflikt ist nicht auf die Regierung Allawi beschränkt. Während des Krieges war die US-Regierung verärgert darüber, dass der Sender Erklärungen des amerikanischen Militärs als falsch entlarvte. So zeigten Aufnahmen aus Basra, dass die Stadt im Südirak nicht gefallen ist wie von den USA behauptet. Auch die Ausstrahlung von Bildern getöteter US-Soldaten und Geiseln wurde in Washington scharf kritisiert. „Das war ein Krieg, und Krieg bedeutet Tod“, rechtfertigt Ballout diese Bilder. Allerdings hat der Sender auch elf Sekunden eines Videos ausgestrahlt, das die Hinrichtung eines Soldaten zeigte – das Video stellte sich als gefälscht heraus.

Ein Stein des Anstoßes sind eben jene Videos von Osama bin Laden oder anderen Gruppen, die im Irak kämpfen, Geiseln nehmen und zum Widerstand gegen die US-Soldaten aufrufen. „Wir senden aus den Videos nur, was für uns Nachrichtenwert hat“, verteidigt Ballout die Arbeit des Senders. Zugleich werde das Material daraufhin untersucht, ob es „unmenschliche“ Szenen enthalte. Die würden nicht gesendet. Er verweist auf den Ethik-Code, den der Sender sich im Juli auferlegt hat.

Dieser Code ist ein Fortschritt und ein Ergebnis der nicht enden wollenden Kritik an dem Sender. Denn für westliche Beobachter drängte sich der Eindruck auf, dass Al Dschasira nicht verstanden hat, dass Journalisten sich eben selbst Grenzen auferlegen müssen. Das Motto des 1996 gegründeten Senders, alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen, führte dazu, dass Präsidenten ebenso wie Terroristen eine Plattform erhielten. Hier scheint sich etwas bewegt zu haben.

Dennoch gehen die Ansichten des Senders und der Interimsregierung, was eine unparteiische und umfassende Berichterstattung ist, auseinander. Der Irak-Korrespondent Abd al-Adhim Mohammed beklagt, dass die Interimsregierung eine „aus deren Blickwinkel neutrale Berichterstattung“ verlange. Regierungsvertreter hätten den Korrespondenten mehrfach vorgeworfen, nicht ausreichend über die positiven Entwicklungen seit dem Sturz Saddams zu berichten. „Sie laden uns zu einer Schuleröffnung ein, und es stellt sich heraus, dass dies lediglich eine renovierte Schule ist“, berichtet Mohammed. „Das ist vom journalistischen Standpunkt aus keine Nachricht.“ Dass eine solche „Normalität“ in dem kriegsgeschüttelten Land doch berichtenswert sein könnte, sieht er nicht. Sprecher Ballout betont, der Sender habe sehr wohl über den Aufbau des Elektrizitätsnetzes berichtet. „Aber alle Umfragen zeigen, dass Sicherheit das mit Abstand wichtigste Thema für Iraker ist“, erklärt er das mögliche Ungleichgewicht in den Berichten, „damit bekommen alle sicherheitsrelevanten Fragen für uns Nachrichtenwert“.

Der Konkurrenzsender Al Arabiya hatte nach einer kurzen Schließung seines Büros eine Erklärung unterschrieben, dass er dem Terrorismus keinen Vorschub leisten werde. Dies lehnt Ballout für seinen Sender ab, weil dies selbstverständlich sei. Eine solche Erklärung würde auch nicht viel nützen angesichts der unterschiedlichen Definitionen von Terrorismus. Aufständische in Falludscha sind für weite Teile der arabischen Welt und für Al Dschasira Widerstandskämpfer, für die USA sind sie Terroristen.

Das eigentliche Problem liegt viel tiefer. Nach Ansicht des Chefredakteurs der libanesischen Zeitung „Daily Star“, Rami Khoury, sind viele Massenmedien in den USA und in der arabischen Welt von „unabhängigen Chronisten der Ereignisse“ über den Krieg hinaus zu „aktiven Kombattanten an der Front der Informationen“ geworden. Zudem seien die elektronischen Medien der einzige Sektor, in dem ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen den USA und der arabischen Welt besteht. Dies führe zu einer extremen Politisierung. Hazem Saghieh von der panarabischen Zeitung „Al Hayat“ nennt Al Dschasira die „populärste politische Partei“ der arabischen Welt.

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