zum Hauptinhalt
Alle warten schon. Guido Westerwelle, Bundesaußenminister und FDP-Chef, nimmt in der Bundespressekonferenz Platz. Gleich wird das Frage-und-Antwort-Spiel beginnen.

© picture alliance / dpa

Raumschiff Berlin: "Herr Ober, bitte zahlen!"

"Die Meinungsmacher": Das Buch von Kramp/Weichert attackiert die Hauptstadt-Journalisten. Ernst Elitz liest nur Klischees und erinnert an die wahre Konkurrenz – die Hauptstadt-Blogger.

Wer ist die Kraft, die nie das Gute sieht und stets das Böse schafft? In den Büchern besorgter Kollegen heißt dieses Ungeheuer Hauptstadtjournalismus, wahlweise auch „Horde“ oder „Meute“ genannt, in der sich in alphabetischer Reihenfolge Alphatiere, blutsaugende Hohepriester, Dracula-Journalisten, Leitwölfe und ihre Rädelsführer samt schwirrender Schmeißfliegen versammeln, um ihre Beute zu rupfen. Das neueste Handbuch über diesen Kollegenzoo (Leif Kramp/Stephan Weichert: „Die Meinungsmacher – Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus“, Hoffmann und Campe, 2010) enthält auf 300 Seiten alle Vorurteile, die die Vorgänger des Autorenduos sich mühsam erarbeitet haben.

Das Buch schwankt zwischen einem nostalgischen Blick auf Bonn, wo die Lektüre des Bonner „General-Anzeiger“ und der Besuch der Bundespressekonferenz verpflichtend waren, und dem Staunen des Berlin-Touristen über „Prominentenpartys und Galadinners in Berlin Mitte“, wo die Alphatierchen des Hauptstadtjournalismus „mit Politikern, Wirtschaftsbossen, Spin Doctors und Lobbyisten an weiß gedeckten Tischen Austern schlürfen und teure Bordeaux-Jahrgänge verkosten“. Das ist Medienkritik mit der platten Nase und nicht die Analyse, die der Hauptstadtjournalismus verdient.

Beim sehnsuchtsvollen Rückblick auf das Bonner Ambiente wird gern übersehen, dass Adenauer einen kleinen Kreis auserlesener Journalisten beim Tee auf seine Linie einschwor (an diese Tea-Party-Connection erinnern sich Kramp und Weichert noch); aber es war auch die Zeit, in der politisch missliebige Kollegen bei ihren Verlegern angeschwärzt und Wohlverhalten mit Zahlungen aus dem Reptilienfonds des Bundespresseamtes vergolten wurde.

Angesichts solcher Zustände kann der Bürger sich glücklich schätzen, von einem Hauptstadtjournalismus informiert zu werden, der sich nicht gefällig in Parteizirkeln sortiert, sondern der unter Hinnahme gelegentlichen Austernschlürfens mit jedem redet, aus dem sich etwas herauspressen lässt. Er ist zum Wohle des Lesers unberechenbar und meinungsstark und damit genau das Gegenteil der geputzten und korrumpierbaren Kammerdiener der Bonner Republik.

Die Medienkritik auch dieses Buches hat sich auf Phantome spezialisiert, mit denen man den Stammtisch erschrecken kann. Es gibt nicht die „Meinungskartelle“, es gibt nicht den generellen Mangel an Durchblick, es gibt nicht die Herrschaft zwischen den Medien verabredeter Kampagnen. Was es gibt, ist weniger Zeit, zunehmender Konkurrenzdruck und eine quatschsüchtige politische Klasse, die sich genussvoll selber beschädigt.

Doch kann es nicht die Gouvernanten-Aufgabe des Hauptstadtjournalisten sein, Politiker vor dem Unheil zu bewahren, in das sie sich selber begeben. Der Hauptstadtjournalist ist nicht der Anstandswauwau der Republik. Und er verabredet sich nicht zum Bellen.

Kramp und Weichert kramen in der Mottenkiste, wenn sie ominöse Meinungskartelle zur „Beweihräucherung des Status quo“ beschwören; wenn sie „politische Richtungsdebatten“ und „gesellschaftliche Aufklärung“ in den Medien vermissen. Falsch, genau das Gegenteil ist der Fall. Die Heftigkeit, mit der die Medien die Bundesregierung angesichts der Schulden- und der Euro-Krise zu einer Neubestimmung ihrer politischen Leitlinien drängten und in der sie über Rettungsschirme für Banken und für Griechenland stritten, führt die These vom „Meinungskartell“ ad absurdum. Die Zeitungen befetzten sich untereinander.

Für die immer wieder aufgewärmte Legende von verabredeten Kampagnen zwischen den Medienhäusern weiß das Autorenduo auch nur die Allianz zwischen „FAZ“, Springer-Verlag und „Spiegel“ gegen die Rechtschreibreform anzuführen – und die ist, so gestehen Kramp und Weichert, „grandios gescheitert“. Nun ist das Scheitern einer Kampagne, die überdies null Komma null mit dem Hauptstadtjournalismus zu tun hat, nicht gerade ein Beleg für eine erfolgreiche Kampagnenpolitik der Berliner Journaille.

Die real existierende Wirklichkeit gibt über den Hauptstadtjournalismus besser Auskunft als das gepflegte Vorurteil. Zur Wirklichkeit gehören die entlarvenden Politikerporträts von Markus Feldenkirchen im „Spiegel“, die scharfzüngigen Befragungen in den Frühsendungen des Deutschlandfunks, die detailversessenen Analysen des Politikbetriebs von Günter Bannas und die geschliffenen Kommentare in „FAZ“, „Süddeutscher Zeitung“ und „Tagesspiegel“.

In der gängigen Kritik am Hauptstadtjournalismus ist viel von gestern. Die konservative Presse ist längst nicht mehr Vor- oder Nachbeter des Kanzleramts. Merkel hat nicht die D-Mark wieder eingeführt, obwohl einige Autoren der „FAZ“ das empfahlen. Auch die These von der erfolgreichen Medienstrategie der Bundeskanzlerin und ihrer „Friede-Springer-Connection“ hat sich nach dem Köhler-Rückritt als Legende erwiesen. Die „Bild am Sonntag“ jubelte „Yes we Gauck!“ und eben nicht „We want Wulff!“. Was einmal mehr beweist: Die Hauptstadt-Leitwölfe haben einen eigenen Kopf und einen ausgeprägten Instinkt für Wählerstimmungen. Merkel kann die Medien nicht lenken. Das konnten auch Adenauer und Schröder nicht. Der als Provinzonkel gestartete und als Weltpolitiker verabschiedete Kohl war klug genug, es gar nicht erst zu versuchen.

Die Zerrissenheit der Koalition, das Autoritätstief der Kanzlerin, die Frage, ob ihr kühles Physikerherz der liebebedürftigen Union genügend Wärme spenden kann – sind Themen in allen Medien. Sie sind der politischen Not geschuldet, nicht einer Kampagne. Da gibt es weder ein Pro-Merkel-Kartell noch einen Aufklärungsmangel. Und dennoch, der angeblich so hektische Hauptstadtjournalismus ist manchmal ziemlich verschlafen. Es dauerte eine Woche, bis die Alphatiere der Redaktionsbüros die inkriminierte Passage in Köhlers Deutschlandradio-Interview entdeckten, die Anlass für seinen Rücktritt bot. Es dauerte Tage bis zur Erkenntnis, dass seine Äußerung zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr der schriftlich niedergelegten Strategie der Bundesregierung entsprach. Die Kanzlerin war nicht bereit, das öffentlich zu erklären; die Journalisten hatten es schlicht verpennt; die Arbeit des Bundespräsidialamts war ein Desaster. An dieser Zustandsbeschreibung könnte eine Analyse des Hauptstadtjournalismus und seines politischen Umfelds ansetzen. Die Konsequenz müsste lauten: Werdet schneller und macht euch bissiger Konkurrenz.

Im Fall Köhler waren die Blogger schneller. Sie stießen die Medien auf Köhlers Radiointerview. Da haben Kramp und Weichert recht: Blogger können die professionelle Arbeit von Journalisten vielfältig bereichern. Sie senden ein schrilles Wecksignal, wenn das Alphatier gerade im „Grill Royal“ Austern oder im „Einstein“ Cappuccino schlürft. – „Herr Ober, bitte zahlen! Der Hauptstadt-Blogger wartet schon!“ Er wird zur wahren Konkurrenz.

Ernst Elitz war von 1994 bis 2009 Gründungsintendant des Deutschlandradios. Er lehrt an der FU Berlin Kultur- und Medienmanagement.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false