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Immer drauf. Die Nachwendezeit war geprägt von Neonazi-Gewalt.

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RBB-Doku über rechte Gewalt: Warum die „Baseballschlägerjahre“ bis in die Gegenwart wirken

Eine Dokumentationsreihe erinnert an Prügel, Beleidigungen und Drohungen durch Neonazis in den Nachwendejahren. Was haben wir aus dieser Zeit wirklich gelernt?

Juliana Luisa Gombe, Torsten Lamprecht, Frank Böttcher, Nguyen Dinh Khoi, Amadeu Antonio, Emil Wendland. Sie alle - und viele weitere - sind in den 90er-Jahren Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden, sie wurden beschimpft, bespuckt, brutal geschlagen. Lamprecht, Böttcher, Antonio und Wendland überlebten diese Angriffe nicht.

Gombe, Dinh Khoi und viele andere Opfer kämpfen mit den psychischen und körperlichen Folgen. Niemand schritt ein, kaum jemand trat für sie ein – mit diesem Gefühl beschreiben Betroffene in der Dokumentationsreihe „Baseballschlägerjahre – die Wendegeneration und rechte Gewalt“ diese Zeit in Ostdeutschland.

Der „Zeit“-Journalist Christian Bangel hat den Begriff für die Jahre nach dem Mauerfall geprägt. Mit einem Tweet versehen mit dem Hashtag „#Baseballschlägerjahre“ startete er im Oktober 2019 eine deutschlandweit geführte Debatte über die Irren der Nachwendejahre.

„Zecken klatschen“, das galt im Osten der Republik als legitimes Hobby. Die sogenannte „akzeptierende Jugendarbeit“ machte kirchliche Jugendtreffs in Oranienburg, Magdeburg oder Neuruppin zu Neonazi-Hauptquartieren. Die rechte Skin-Kultur war für viele Jugendliche so bedeutsam wie heute der Hiphop. Was können wir 2020 daraus lernen? Was ist passiert mit den Strukturen von damals?

Das sind einige der Fragen, die in der Dokumentationsreihe behandelt werden. Sie ist ab Dienstag digital verfügbar, wird am Mittwoch im RBB ausgestrahlt. Gedreht wurde sie als Kooperation des Senders mit „Zeit Online“. In sechs rund 15-minütigen, persönlichen Kurzfilmen besuchen mehrere Reporter Neonazi-Aussteiger, Fahnder der Polizei und die Schauplätze rechter Gewaltexzesse wie Eberswalde oder Rostock.

Klatschen und Geklatscht werden lagen nah beieinander

Erschütternde Archivaufnahmen von Aufmärschen milchgesichtiger Neonazis werden klug gemischt mit Zeitzeugengesprächen und den Eindrücken der Reporter. Das kurzweilige Format, die schnellen Schnitte und persönlich erzählte Geschichten machen die Filme nahbar, diese Zeit verständlich – und umso schwerer verdaulich.

„Meine Heimatstadt, ein Ort den ich zwischendurch wirklich, wirklich gehasst habe“, sagt Christian Bangel zu Beginn der ersten Folge. Es geht um seine Jugend, seine Heimatstadt: Frankfurt (Oder). Er erzählt, wie er vor Neonazis wegrannte. Irgendwann hatten sie ihn, irgendwann zog er weg.

Bangel besucht seinen früheren Jugendclub, die Kulturfabrik, erzählt von Konzerten, der Angst vor dem Heimweg. Klatschen und „aufgeklatscht werden“ lagen nah beieinander. Brutalität des Alltags – zumindest für linke Jugendliche, Ausländer und Migranten Anfang der 90er-Jahre.

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Die Doku-Reihe ist keine Nazi-Safari in der Vergangenheit, kein voyeuristischer Blick auf „den Osten“. Die Reporter ziehen Bezüge ins Jetzt: Zeigen Alexander Gauland, der vor der rechtsextremistischen Gruppe „Zukunft Heimat“ in Cottbus spricht, unter ihnen, laut einem Ermittler, Männer „verbotener Kameradschaften“ von früher.

Bangel spricht mit dem Oberbürgermeister seiner Heimatstadt über dessen „Friedensverhandlungen“ zwischen Linken und Nazi-Skins, spricht über die Erfolge der Europastadt. „Auch eine zutiefst depressive Stadt voller Neonazis und rechter Gewalt kann sich binnen weniger Jahrzehnte zum Besseren ändern.“

Was hat die dauerhafte Angst bei den Opfern angerichtet?

Eine andere Folge spielt in Magdeburg, „Himmelfahrskrawalle“ 1992, der Tod des Punks Torsten Lamprecht. Ein Freund des damals 23-Jährigen schildert, wie sie sich mit Molotowcocktails und Pflastersteinen in einem ehemaligen Stasi-Gefängnis verschanzten.

Er sagt, „Punks klatschen war Volkssport“. Er frag sich, was das in ihm angerichtet hat, sagt ganz trocken: „Es hat einfach niemanden interessiert.“ Wie ist es heute?

„Baseballschlägerjahre“ läuft am Mittwoch im RBB, 23 Uhr 05, und ab Dienstag in der RBB-Mediathek

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