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Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org, spricht auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin.

© dpa

Re:publica in Berlin: Post Love, Not Hate

Die re:publica ist wieder da. Neben technischen Innovationen bestimmen Diskussionen über Hate Speech die Blogger-Konferenz. Doch auch die alten Themen Überwachung und digitale Grundrechte sind aktuell wie nie.

"Es ist schön, dass ihr da seid", ruft Tanja Haeusler in den großen Saal der Station Berlin. Es ist re:publica, Eröffnungsveranstaltung. 8000 Gäste sind angereist, die Hälfte ist das erste Mal auf der nun größten Internetkonferenz Europas, die ihren zehnten Geburtstag feiert. Und auch auch viele Themen sind neu auf der re:publica angekommen. "Ich werde immer gefragt, was hat sich nach zehn Jahren verändert?", übernimmt ihr Mann und Mitgründer Johnny Haeusler das Mirko, "Alles. Alles hat sich verändert." Der Hass ist neu, die Intoleranz im Netz nimmt zu, der Sexismus, der Rassismus, so Haeusler: "Post love, not hate."

Hate Speech – das ist einer der Schwerpunkte der 10. re:publica: der Umgang miteinander, das Kommunizieren in den Netzwerken, die öffentlichen Anfeindungen mit Klarnamen. "Das Internet ist eine Lebensraum, den es zu verteidigen gilt", ruft Johnny Haeusler in den voll besetzten Saal. Als die Eröffnungsveranstaltung vorbei ist, beginnen die Sessions und Podiumsdiskussionen.

Viele beschäftigen sich mit der Problematik: Wie kann der Ton auf Facebook und Twitter wieder zivilisierter werden? Wie umgehen mit hasserfüllten Usern? Sperren? Moderieren? Diskutieren? Eine finale Antwort hat niemand. Dabei ist das Problem seit langem bekannt. Nur die Heftigkeit ist seit der stärkeren Flüchtlingszuwanderung eskaliert.

Doch auch die Fehler der Vergangenheit melden sich zurück. Die Machtstrukturen des Netzes, an denen sich die re:publica seit zehn Jahren mit viel Emotion abarbeitet, sie scheinen 2016 mehr denn je in der Hand von Google, Facebook und Amazon. "Wir reden immer über das offene Internet", sagt CEO Andreas Gebhard, "aber das offene Netz ist bedroht. Es ist nicht mehr die Blogosphäre von früher. Wir machen uns immer abhängiger von Plattformen, die uns die Regeln vorgeben."

Dass Nutzer mehr darauf achten sollten, wessen Dienste sie im Netz nutzen, findet auch Markus Beckedahl, Chefredakteur von Netzpolitik.org. "Trefft bewusst Konsumentscheidungen. Wir sind dabei, das offene Netz zu verlieren. Gebt nicht auf."

Eine Mammutaufgabe – auch für die nächste Generation

Der Kampf um ein freies Netz sei eine Mammutaufgabe – auch für die nächste Generation. "All die Debatten, die wir geglaubt hatten hinter uns gelassen zu haben – sie kommen alle wieder", sagt Beckedahl, "Save Harbor, Netzneutralität, Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung – es sind genau die alten Debatten. Doch die Lobbbyindustrie hat stark aufgerüstet, die Zivilgesellschaft nicht. Vernetzt euch." Die alte Forderung der ersten Blogger-Treffen ist auch 2016 nicht selbstverständlich genug, um das Publikum damit zu verschonen.

Neben den gesellschaftlichen, politischen Diskussionen widmet sich die re:publica TEN den technischen Innovationen. Das ist 2016 vor allem Virtual Reality. Was sich 2015 bereits ankündigte, hat nun die unterschiedlichsten Lebensbereiche infiziert.

Einst als Gaming-Gespiele verspottet, ist Virtual Reality nun auch in Musik, Theater, bildender Kunst, Mode, Wissenschaft, Gaming, Werbung, Gesundheit und Film angekommen. Selbst die Pornografie hofft ihr durch kostenlose Inhalte zerrütteltes Geschäft mit der neuen Technologie wiederzubeleben.

Der Durchbruch im Massenmarkt lässt zwar noch auf sich warten, doch die wenigsten zweifeln auf der re:publica ernsthaft daran, dass es nicht das nächste große Ding werden wird. "Es gab die Technik schon in den 90ern", sagt ein Speaker über die Anwendung von Virtual Reality in der Musik, "doch manchmal sind es Kleinigkeiten, warum eine Technik sich nicht durchsetzt. Damals sah man halt bescheuert damit aus."

Das neue Labore:tory widmet sich der praktischen Umsetzung der Virtual Reality. Da die Räumlichkeiten ein wenig abseits der eigentlichen Re:publica liegen, hält sich der Besucherstrom in Grenzen. Die Angebote reichen von Rollstuhlfahrten durch verlassene Krankenhausflure mit erratisch auftretenden, letagischen Zombis bis zu kunterbunten digitalen Golf-Welten – beliebt vor allem bei den jüngsten Besuchern.

Zwischen Humor und #Aufschrei

Nicht zu kurz kommen soll auf der zehnten Re:publica auch der Spaß: Veranstaltungen, wie "Sex or Sexist – Ads on the Facebealm Beach" versuchen den schmalen Grad zwischen Humor und emotional aufgeladenen Themen. #Aufschrei, Meme und Katzenbilder – auf der re:publica geht das auch in diesem Jahr erfreulich ungezwungen zusammen. Wenngleich das Niveau zuweilen unter der Inflation von GIFs leidet.

Die zehnte re:publia fächert thematisch stärker aus als ihre Vorgänger. Knapp 400 Stunden Programm von 770 Sprechern aus 60 Ländern auf 17 Bühnen bieten Themenfelder für Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Aktivisten, Politiker, Hacker, Geschäftsleute und Blogger. "Wir haben nie versucht, zu wachsen oder es zu pushen", sagt Tanja Haeusler, "Wir hatten Angst, dass die Atmosphäre verloren gehen könnte. Doch das ist nicht passiert." Den Grund sehen die Veranstalter in dem detailverliebten Konzept.
Das soll nun auch internationaler werden. Am 20. Oktober wandert die re:publica deswegen erstmals ins Ausland, kündigt Andreas Gebhard an. Ein eintägiger re:publica-Ableger soll in der Technologie-Hochburg Dublin stattfinden. "Wir freuen uns auf eine erste Klassenfahrt im Oktober”, witzelt Gebhard.

Michel Penke

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