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Selbstinszenierung versus Solidarität. Schon tobt der Meinungsstreit, welchen Wert die Regenbogenfahne auf den Profilbildern bei Facebook wirklich hat.

© dpa/Montage:Tsp

Reaktionen auf Facebook zu Urteil in den USA: Ist die Regenbogenfahne Solidarität oder Selbstinszenierung?

Seit der Supreme Court in den USA die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat, legen Millionen Facebook-Nutzer eine Regenbogenfahne über ihr Profilbild . Und schon tobt der Meinungsstreit.

Die Skepsis ist gewaltig. „Sind all diese Regenbogen-Profil-Photos nur eine weitere Facebook-Studie?“, betitelt J. Nathan Matias seinen Beitrag für „The Atlantic“. Das global erfolgreichste Netzwerk gibt Solidarität vor und interessiert sich realiter für Verhaltensweisen, Vorlieben und die sexuelle Orientierung seiner Nutzer, um daraus eine neue Dollar-Flut zu generieren. Alles ein Marketingtrick von Facebook, alles ein Big-Data-Generator! In Foren wird den Mitmachern zugeschrien, sie würden schlichte Selbstinszenierung posten.

Seitdem der Supreme Court in den USA die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat, können User bei Facebook, Twitter oder Instagram die Regenbogenfahne über ihr Profilbild legen. Sie tun es, massenhaft, millionenfach. Das erinnert an andere, nicht weniger erfolgreiche Mitmachaktionen. Begonnen hat das zeichenhafte Bekenntnis – wahrscheinlich – mit „Atomkraft! Nein Danke“-Aufklebern auf Autos, die alles andere als ökologisch korrekt durch deutsche Landen fuhren. Mit der Onlinisierung der Welt traten das Dafür- und das Dagegen-Sein in eine neue Phase ein. #Arabellion, das war Aktion auf der Straße und im Netz, #Aufschrei war virtuelles Agieren, „Je suis Charlie“ mischte wieder verschiedene Formen der Solidarität. „Hebdo“-Zeichner Bernard Holtrop wurde richtig böse über den gewaltigen Zuspruch: „Wir haben viele neue Freunde gekriegt: den Papst, Königin Elisabeth, Putin (...) Wir kotzen auf all die Menschen, die nun plötzlich sagen, dass sie unsere Freunde sind.“

"Slacktivism" statt konkreter Aktion

Hart, oder? Menschen zeigen Anteilnahme, und sie werden dafür beschimpft. Verwunderlich, dass diese Reaktionen fast ausschließlich Aktionen betreffen, die im Netz stattfinden. Protest scheint nur ehrlich gemeint zu seín, wenn er physisch wird, nach Anstrengung, selbst gebastelten Plakaten und dem Schweiß der Edlen riecht. Wie anders der Online-Soli. Auf dem Sofa fläzen, klicken, „Slacktivism“ statt harter, konkreter Aktion.

Jeder Protest, jede Solidarität ist Selbstinszenierung, unabhängig von jeder Einsatzform. Wer sich bekennt und dies auf Facebook oder bei Twitter oder sonst wo im Netz tut, der meint sich und seine Position zu einem Prozess, zu einem Problem. Als Äußerungsform so eigen und so wertvoll wie die Fahne vorm Balkon. Mitläufer gibt dort, wie es hier die Mitklicker gibt. Reflexion kann, muss nicht angenommen werden. Von der Form der Meinungsäußerung auf die Festigkeit einer Meinung und damit auf das Engagement, sie privat wie öffentlich zu vertreten, zu schließen – dieser Schluss ist ein Kurzschluss. Ebenso irrtumsbehaftet ist die Annahme, dass eine Demonstration auf der Straße von mehr Überlegung und Überzeugung zeugt als eine Demonstration im Netz. Wer einen politisch aufgeladenen Hashtag twittert, der macht ein politisches Statement.

Die Gesellschaft gibt sich heterogen

Die Regenbogenfahne über einem Profilbild ist ein Statement, eine kräftige Aussage. Menschen bekennen ihre sexuelle Orientierung, Menschen bekennen ihre Sympathie, das ist unverändert mutig in einer Gesellschaft, die sich gar zu gerne heterogen gibt und doch zu einem unbekannten Teil homophob denkt, wenn nicht handelt. Das Private wird öffentlich gemacht, auch das ist mutig. Das geht über die bloße Like-Attitüde und das sonstige Katzenvideo-Klimbim auf den Plattformen weit hinaus. Es kann halt nicht jeden Tag auf jeder Straße CSD gefeiert werden. Je mehr mittun, desto größer die Provokation, auf dass Gespräche beginnen, Aufklärung eintritt.

Wer immer noch zwischen authentischem (Transparent, Trommeln, Trillerpfeifen) und nicht authentischem Protest (Facebook, Hashtag, Online-Petition) nicht nur unterscheiden, sondern zugleich nach Güteklasse A und Güteklasse B beurteilen will, der lebt noch im 20. und nicht im 21. Jahrhundert. Eine ganze Generation protestiert und demonstriert im Netz. Die Ausdrucksform sagt nichts über die Ausdrucksstärke, schon richtig, doch die Ausdrucksform als Miniatur der Ausdrucksstärke misszuverstehen – das grenzt an Denunziation.

Und ergänzen sich nicht reale und virtuelle Welt? Kein Medium eignet sich besser zur Organisation von Protest als das Netz, kein Flugblatt, kein Telefon. Die Mundpropaganda früherer Tage ist die heutige Plattform-Propaganda. Warum wohl Autokraten wie der türkische Staatspräsident Erdogan Facebook, Youtube und Twitter bis hin zum Verbot bekämpen? Sie wissen genau, welche Gefahren für sie von dieser Technologie und ihren Anwendern ausgehen.

Eine Regenbogenfahne auf einem Profilbild ist dann was? Die Freiheit der Andershandelnden.

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