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Annäherung. Die Jorunalistin Yvonne Backhaus-Arnold im Gespräch mit Armin Kurtovic, der seinen Sohn verlor.

© Lena Wrba

Update

Rechte Gewalt in den Medien: Mehr als die „geile Story“

Morgen beginnt der Prozess gegen den Attentäter von Halle. Nachwuchsjournalisten zeigen - an Halle und Hanau - auf, wie Opfer in Medien eine Stimme bekommen.

„Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir als Zeitung festgestellt haben, wie weit weg wir von Ihnen allen sind eigentlich. Also von Ihnen allen oder von Ihrem Hintergrund. Wir wussten von vielen Opfern überhaupt nicht … wir beherrschen die Sprache nicht“, sagt sie. „Wir reden doch alle perfekt Deutsch“, antwortet er. Sie, das ist Yvonne Backhaus-Arnold, stellvertretende Chefredakteurin des „Hanauer Anzeigers“. Er ist Armin Kurtovic. Sein 22-jähriger Sohn Hamza wurde am 19. Februar ermordet, er ist eines der neun Todesopfer des rassistischen Attentats von Hanau.

Es gibt noch einige andere verstörende und erhellende Momente in diesem knapp 15 Minuten langen Gespräch, das vom heutigen Montag an online zu sehen und nachzulesen ist. Es ist Teil eines Projekts der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und des in Berlin ansässigen Mediendiensts Integration.

#imgespräch heißt es und dreht, wohl zum ersten Mal, die üblichen Rollen um. Hier sind es nicht Journalistinnen und Journalisten, die die Fragen stellen. Sie selbst stellen sich den Fragen derer, von denen sie sich üblicherweise Informationen holen. Oder die, wie im Falle von Armin Kurtovic, zu wenig gefragt sind. Etwa weil man glaubt, ihre Sprache nicht zu kennen.

Selbst die Seite mit den Bildern der Opfer in der Lokalzeitung sei voller Fehler gewesen, sagt der Vater, das Alter seines ermordeten Sohnes falsch angegeben. Überhaupt sei das ganze Vorgehen falsch: „Ich bin deutscher Staatsbürger und Sie müssen über den Ausländerbeirat an mich herantreten.“

Dass Betroffene, vor allem wenn sie als ethnisch oder sozial „fremd“ gelten, in den Medien oft zu kurz kommen, dass Aussagen von Polizei und Behörden mehr zählen als ihre, ist nicht neu. Spätestens die jahrelange Fehlinterpretation der NSU-Morde, das Ausblenden des rassistischen Hintergrunds, zeigte, welche fatalen Folgen es hat, auf die Perspektive der Betroffenen zu verzichten. Der Mediendienst Integration, eine Informationsplattform zur Einwanderungsgesellschaft für Journalisten, wollte über Webstorys praktische Hilfe bieten. „Wir dachten zunächst an Bildungsaufstieg und Diskriminierung als Themen“, sagt Mehmet Ata, der Leiter des Mediendiensts. Als er das in einem Gespräch mit Henriette Löwisch erwähnte, der Leiterin der DJS, wurde eine Aufgabe für ihre Schülerinnen und Schüler daraus.

„Wir fanden das alle unglaublich spannend“, sagt Berit Dießelkämper, Schülerin der Kompaktklasse der 58. Lehrredaktion an der DJS, die das Projekt stemmte. Aber sie und ihre Kollegen wollten ein anderes, sozusagen das Urthema bearbeiten: rechtsextreme Gewalt. Und nahmen sich dafür die beiden jüngsten Verbrechen vor, Hanau und den Anschlag auf die Synagoge in Halle - der Prozess gegen den Täter beginnt an diesem Dienstag in Magdeburg.

In einem anderthalbstündigen Gespräch mit Martin Machowecz, dem Korrespondenten der „Zeit“ für Ostdeutschland, erläutert Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, wie er und die Gemeinde den Ansturm nationaler und internationaler Medien seit jenem 9. Oktober erlebten. Er fand sich Medienleuten gegenüber, die nicht einmal so viel Wissen über jüdisches Leben hatten, wie man „auf dem Weg nach Halle nachlesen“ könne, zudem aggressiv vorgetragene Interviewwünsche sogar am Sabbat. Einige Korrespondenten hätten „fast die Türe durchgebrochen, um reinzukommen“. Eine Erfahrung hat er gemacht: dass es ganz wichtig sei, zu wissen, was die Medienleute mit den Aussagen planten.

„Aus den Videos lernt man wirklich viel“, lobt Mediendienst-Chef Ata. Ihnen folgen praktische Tipps, die die Münchner Jungjournalistinnen aus ihren Erfahrungen im Projekt gewonnen, aber auch in Gesprächen mit Expertinnen und Experten zusammengestellt haben.

Zur Recherche heißt es in den Tipps der DJS unter anderem: „Journalist*innen hinterlassen Spuren bei jeder Kontaktaufnahme. Sie überschreiten oft persönliche Grenzen und tun das teilweise unsensibel und rücksichtslos.“ Vermittlung in Anspruch zu nehmen helfe, zum Beispiel die von Opferschutzstellen, Psychologen, Anwältinnen oder Vertrauenspersonen aus den Communitys.

Berit Dießelkämper benennt auch die Grenzen. Es könne dauern, bis Vertrauen da sei. Ob Redaktionen so viel Zeit haben, erst recht in den ersten 48 Stunden nach Verbrechen wie in Hanau und Halle? Man habe Tipps geben wollen und „nicht Kollegen ein gutes Gefühl verschaffen“. Der Einzelfall zähle, auch die Betroffenen seien sehr verschieden: „Manche haben das Bedürfnis zu sprechen, andere brauchen Ruhe und wollen trauern.“

Berit Dießelkämper ist überzeugt, dass für ihre Generation ein Journalismus vorbei ist, in dem die „geile Story“ alles war und Zweifel an der eigenen Rolle kaum aufkamen: „Wir sind schließlich nach dem Fall Relotius an die Journalistenschule gekommen.“

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