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Medien: Reif für den Montag

Die „Wirtschaftswoche“ verlegt ihren Erscheinungstag und hofft damit die Kioskauflage zu verdoppeln

DIE GRÜNDUNG

1926 erschien erstmals „Der deutsche Volkswirt“, der später in „Der Volkswirt“ und 1970 in „Wirtschaftswoche“ umbenannt wurde.

DIE ÜBERNAHME

Die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck kaufte die „Wirtschaftswoche“ 1974.

DER CHEF

Stefan Baron, 58, war von 1978 bis 1981 Redakteur bei der „Wirtschaftswoche“, bevor er zum „Spiegel“

wechselte. 1990 kehrte er als stellvertretender Chefredakteur zurück. Seit 1991 ist er Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“.

Wer nicht wächst, wird kleiner. Wenige wissen das besser als jene, die sich von Berufs wegen mit Wachstum beschäftigen: Macher von Wirtschaftsmagazinen zum Beispiel. Stefan Baron ist seit 15 Jahren Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, und seitdem kündigt er an, dass die Auflage des Blattes auf mehr als 200 000 Exemplare steigen soll. Gelungen ist das allerdings nur ein Mal: im ersten Quartal 2000; in jener Zeit also, in der es an der Börse nur noch Wachstum zu geben schien. Ein Irrglaube, wie sich herausstellte. Von dem Schock hat sich manches Wirtschaftsmagazin bis heute nicht erholt.

Sechs Jahre danach hat sich vieles geändert, aber nicht alles. Zum Beispiel ist Gerhard Schröder nicht mehr Bundeskanzler, gegen den Baron oft zu Felde zog. Das ist vorbei, aber Barons politische Haltung ist geblieben. Manche meinen, in der „Wirtschaftswoche“ seien die Inhalte zu oft zu erwartbar. Baron sieht das anders: Politische Haltung zu zeigen gehöre zur Markenpflege. „Liberalität und Weltoffenheit“ zeichne die „Wirtschaftswoche“ aus. „Es gibt sowieso zu wenige Liberale in diesem Land“, sagt Baron. Mehr von ihnen will er zu Käufern des Blattes machen. Daher wird die „Wirtschaftswoche“ von heute an nicht mehr donnerstags, sondern montags erscheinen. Auf diese Weise werde die Auflage ganz sicher und dauerhaft von aktuell 182 000 auf mehr als 200 000 wachsen, und auch die Anzeigenerlöse werden steigen, glaubt man bei der „Wirtschaftswoche“, die wie der Tagesspiegel zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört.

„Die Zeit ist reif“, sagt Baron. Wirtschaftsthemen seien in Politik und Gesellschaft „enorm nach vorn gerückt“. Daher sei es an der Zeit, dass an dem Tag, an dem „Spiegel“ und „Focus“ erscheinen, mit der „Wirtschaftswoche“ eine „dritte Farbe“ in den Kiosk kommt. Der Montag sei der Tag des „Agenda-Setting“, an dem sich entscheide, welche Themen die Woche bestimmen werden, meint Baron. Er erhofft sich mehr Aufmerksamkeit für die „Wirtschaftswoche“ als am Donnerstag, an dem sowieso Dutzende anderer Zeitschriften zeitgleich herauskommen und die Kioskregale überfluten. Da der Großteil der Leser aber am liebsten am Wochenende zur Lektüre der „Wirtschaftswoche“ greift, werden die Abonnenten bereits sonnabends beliefert – und sonntags wird das Heft an ausgewählten Verkaufsstellen ausliegen.

Abgesehen vom Verkaufspreis, der nach der letzten Erhöhung im Herbst erneut um 20 Cent auf nun 3,40 Euro steigt, wird auch der Umfang des Heftes wachsen – um 20 Seiten. Mehr Platz wird der Unternehmensberichterstattung eingeräumt, es wird neben dem Supplement „Five to nine“ ein (als Anzeigenumfeld attraktives) gleichnamiges Lifestyle-Ressort geben, außerdem eine Gesundheitsseite und Autotests. Als Experten gewann die Redaktion gleich mehrere prominente Zugpferde wie Dietrich Grönemeyer oder Jack Welch.

Geschäftsführer Harald Müsse geht davon aus, dass der neue Erscheinungstag und die daran anknüpfenden redaktionellen Änderungen das Anzeigengeschäft im Jahr 2006 um zehn Prozent anwachsen lassen und sich der Einzelverkauf verdoppeln wird. Er beträgt aktuell knapp 15 000 Exemplare.

Beim Konkurrenten Gruner + Jahr, dessen Wirtschaftsmagazine in Köln angesiedelt sind, wird die Verlegung des Erscheinungstags als „interessanter Schachzug“ bezeichnet. Es könnte, glaubt man dort, sogar eine Erleichterung für das eigene „Capital“ bedeuten. Bisher wirkte das donnerstags erscheinende, aber 14-tägliche „Capital“ neben der wöchentlichen „Wirtschaftswoche“ bisweilen selbst am Erscheinungstag weniger aktuell. Damit könnte Schluss sein, wenn sich „Capital“ nicht mehr an der „Wirtschaftswoche“ messen lassen muss.

Die Wirtschaftsmagazine bereiten Gruner + Jahr seit geraumer Zeit Sorgen. Zwar sollen „Capital“ und „Impulse“ im vergangenen Jahr jeweils ein siebenstelliges Ergebnis eingefahren haben – anders als „Börse Online“, das weiterhin Verluste schreiben soll. Anzeigen- und Auflagenentwicklung sind jedoch alles andere als rosig. Am meisten schmerzt die Verfassung von „Capital“, jenem Blatt, das von Persönlichkeiten wie Johannes Gross und André Kostolany geprägt wurde. Die Umstellung von monatlicher zu 14-täglicher Erscheinungsweise – im Jahr 2000, als die Anzeigengelder schier unendlich zu fließen schienen – erwies sich als fatal, eine Rückkehr aber wird von Gruner + Jahr als unmöglich abgelehnt. Stattdessen wurden mehrfach die Chefredakteure ausgewechselt, kein Konzept erwies sich als schlüssig, so denn überhaupt eines vorlag. Seit wenigen Wochen steht nun der frühere „Impulse“-Chef Klaus Schweinsberg an der Spitze von „Capital“. Schon hat er die gesamte Redaktionsmannschaft umgebaut. Schweinsberg eilt ein guter Ruf voraus. Noch schweigt sich der 35-Jährige jedoch aus, wie er das Ruder herumzureißen gedenkt, und auch die neue Verlagsgeschäftsführerin Ingrid Haas, zuvor bei RTL, bittet darum, die ersten hundert Tage von der Öffentlichkeit unbeachtet arbeiten zu dürfen. Doch die Zeit drängt.

Stefan Baron sagt, angesichts der Marktentwicklung gebe es einfach zu viele Wirtschaftsmagazine. Vor allem gebe es zu viele „Grenzanbieter“, denen es nur mit Mühe gelinge, nicht von ihren Verlagen eingestellt zu werden. Inhaltlich sieht er seine „Wirtschaftswoche“ noch am ehesten in Konkurrenz zum monatlichen „Manager Magazin“. Sein Credo hat er sich jedoch von „Capital“-Gründer Adolph Theobald abgeschaut. Mit Blick auf „Capital“ mahnte Theobald erst kürzlich zur Rückkehr zu einem Journalismus über „die Welt als Wirtschaft“ und warnte davor, nur über „die Welt der Wirtschaft“ zu schreiben. Diesen Satz hat sich Baron zu Herzen genommen.

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