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Medien: Reims Machtfragen

Der RBB ist aktuell mit dem Fall Jan Lerch beschäftigt. Die langfristigen Probleme sind gravierender

Er sendet noch, der Rundfunk Berlin-Brandenburg. Auch wenn immer mehr Mitarbeiter immer mehr Zeit in Protestveranstaltungen verbringen. Getragen vom Protest wird Jan Lerch, Ziel des Protestes ist Intendantin Dagmar Reim. Lerch, eigentlich Moderator der „Abendschau“, kämpft schon länger für sich und für die anderen freien Mitarbeiter. Jetzt soll er gehen müssen, illoyal sei er gewesen und rufschädigend für das Haus, sagt die Geschäftsleitung. Sie hat den Vorgang maßlos unterschätzt, glaubt unverdrossen an eine Affäre Lerch. Spätestens seit der Mitarbeiterversammlung am Donnerstagabend geht es um mehr, um viel mehr: Es geht um den Sender, es geht auch um Reim. Nicht existenziell, beileibe nicht, die Debatte um Personen läuft vor dem Hintergrund ab, wie die Anstalt ihre Zukunft gewinnen will.

Der RBB ist jung, er arbeitet seit dem 1. Mai 2003. Der RBB ist alt, die öffentlich-rechtliche Anstalt ist keine Neugründung, sie wurde aus den bestehenden Anstalten Sender Freies Berlin und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg fusioniert. Damit wurden als ungelöste Probleme in den RBB integriert: Die künftige Beschäftigung der freien Mitarbeiter ist ungeklärt. Außerdem ist da die Altersversorgung aus seligen SFB-Zeiten, durch die Mitarbeiter mit Verträgen vor 1990 ihre monatlichen Altersbezüge auf 90 Prozent ihres letzten Nettogehaltes aufgestockt bekommen. Die Intendantin hat deswegen das Junktim aufgestellt, dass die Gehälter der festen Mitarbeiter nur dann steigen, wenn die Tarifpartner einer Neuregelung, sprich einem Status quo bei der Höhe der Altersversorgung zustimmen. Die lieb gewonnene ARD-Alimentation des Senders läuft Ende 2005 aus. Die Rundfunkgebühren steigen im April nächsten Jahres um immerhin 88 Cent monatlich und trotzdem nicht um den Betrag, mit dem der RBB kalkuliert hat. In der Summe heißt das: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg kann nicht funktionieren, wie SFB und ORB funktioniert haben.

Die Stimmung ist in weiten Teilen der beiden RBB-Standorte Berlin und Potsdam aufgeheizt. Gewollt oder nicht, brechen diese Probleme an der Person, an der Personalie Lerch auf. Für viele RBB-Mitarbeiter ist er der Held der Unzufriedenen. Aber an seiner Person lässt sich das Portfolio der Fragen nicht bewältigen. Die Geschäftsleitung, die Intendantin ist dran. Wo ist Dagmar Reim? Sie verschanzt sich in ihrem Büro und schickt ihre Direktoren ins Feuer. Es scheint, als sei ihr die Situation entglitten. Verdi-Chef Frank Bsirske hat sich als Vermittler angeboten. Bisher vergeblich. Am Freitag hat sich Reim mit Terminverpflichtungen entschuldigt. Was im RBB zuallererst nicht funktioniert: die Kommunikation. Und das in einem Unternehmen, dessen Zweck Kommunikation ist. Reim schafft es, Fragen als Machtfragen misszuverstehen. Das bringt Reibung, wo Kühlung Not tut.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg steht vor einem Prozess, den andere Medienunternehmen in Berlin und in der Region mit weit reichenden, auch individuellen Folgen für die Mitarbeiter hinter sich haben: Eine Anpassung an die Realität der Zahlen und Fakten, an die schlichte ökonomische Tatsache, dass die Ausgaben ganz eng mit den Einnahmen zusammenhängen. Da ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk privilegiert. Der RBB muss sich sein Geld nicht am Markt verdienen, er weiß bereits heute, was er von 2005 bis 2008 von den Gebührenzahlern bekommen haben wird – annähernd 1,4 Milliarden Euro. Damit lässt sich eine Menge Fernsehen und Hörfunk produzieren. Von Mitarbeitern,wenn sie engagiert sind, wenn sie motiviert sind. Für Kunden, die attraktive Programme sehen und hören wollen. Die Schmerzen und die Phantomschmerzen des Personals sind den Gebührenzahlern egal, sie messen den Sender am Hörbaren und am Sichtbaren.

Wie kommt der RBB in die Lage, die Millionen-Einnahmen in Fernsehen und Hörfunk umzusetzen? Mit einem Personal, das lieber protestiert als programmiert, geht das nicht. Die Direktion um Dagmar Reim hat bislang auf die Zukunft gesetzt, auf dass alle Sendermitarbeiter erkennen, welch toller RBB eines Tages entstehen wird. Mit der causa Lerch ist das Fiktion. Mit Dekreten, mit einer Frissoder-Stirb-Haltung, mit peniblen Handlungsanweisungen an alle und jeden aus der Intendanz kommt Dagmar Reim nicht voran. Sie muss erklären, klären, die Mitarbeiter davon überzeugen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg nur an sich selbst scheitern kann.

Übrigens auch nicht an den Vorgängeranstalten, ein weiterhin beliebtes Erklärungsmuster der Senderchefin für aktuelle Probleme. Das hat auch bei Gerhard Schröder nicht allzu lange geklappt, als er eigene Probleme und die seiner rot-grünen Koalition nach dem Regierungswechsel 1998 mit dem Versagen der Kohl-Mannschaft ummäntelte. Schließlich war Schröder ja gerade deswegen gewählt worden. Rot-Grün kam erst mit eigenem Entwurf, mit der „Agenda 2010“ in Tritt. Da ist Dagmar Reim weiter. Sie hat schon heute ein Projekt: „RBB 2009“.

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