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Medien: „Rezensionskultur bedroht“

Medienseiten prägen das Image einer Zeitung, sagt Bernd Gäbler

WOZU MEDIENSEITEN ? (TEIL 3)

Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen. Gewiss. Zwar ist nicht jeder Leser auch sein eigener Archivar, aber mit der Betonung der Speicherfunktion der klassischen Medien der GutenbergGalaxis beschreibt das Goethe-Zitat eine Differenz der Medien, die auch eine Differenz der Geschwindigkeiten ist.

Das Fernsehen ist live und schnell, schrill und alltäglich, ereignisorientiert, dokumentarisch oder fiktional. Aber es versendet sich. Die Fernsehkritik hat gegen die Flüchtigkeit dieses Mediums stets ein Widerlager gebildet. Geboren aus dem Geist der Film- und Theaterkritik, hat sie eine eigene Rezensionskultur entwickelt, die der Spezifik des tief in die Privatheit eindringenden televisionären Massenmediums immer besser auf die Spur kam. Mit den sich ausbreitenden Medienseiten, die stets zwischen Ökonomie und Feuilleton changierten, fand diese Fernsehkritik ein modernes Spielfeld.

Einige glauben nun zu bemerken, dass sich die Medienseiten der Zeitungen zurückbilden würden zu klassischen Fernsehseiten. Nach meiner Beobachtung stimmt das nicht. Vielmehr ist mit der Abschaffung der Medienseiten auch die Rezensionskultur bedroht.

Es mag das Interesse der Verleger sein, nicht allzu viel Kritisches über die Krise der Branche im Allgemeinen oder gar das eigene Haus lesen zu wollen, das aus den Medienseiten bedrohte Arten macht. Wenn gespart werden soll, ist die Medienseite meist der erste Einfall, wie sehr sie auch das Image einer Zeitung prägt. Das Fernsehen aber bleibt – davon völlig unberührt – ohnehin das wirksamste Massenmedium. Es liefert Stoff für Klatsch und Glamour; hier entsteht Prominenz; die Mattscheibe ist der zentrale Tummelplatz im Kampf um Aufmerksamkeit; das Spitzenpersonal unseres Landes ist uns vor allem via Bildschirm vertraut. Im Verhältnis von Print zu TV allerdings nimmt der Programmhinweis, die Ankündigung, die Reklame einen immer größeren Raum ein. Dies wird gewiss nicht weniger werden, wenn die großen Programmzeitschriften-Hersteller auch noch Sendergruppen führen sollten.

Einen Begriff wie den der „Mediokratie“ halte ich für eine Übertreibung. Nicht die Medien herrschen, sondern die, die herrschen, bedienen sich der Medien und sind auf sie angewiesen. Folglich wird die Selbstreflexion der Gesellschaft in nicht geringem Maße auch eine Reflexion über die mediale gesellschaftliche Wirklichkeit sein müssen. Das Rückschneiden der Medienseiten – wie viel Klatsch, Überflüssiges oder Selbstbezogenes sie auch immer bieten mögen – ist deswegen vor allem und zuerst das Beschneiden eines Reflexionsraums.

Und damit ist dann eben auch die klassische Fernsehrezension bedroht, die Vergleiche anstellt mit früheren Produktionen, Leistungen beurteilt, Hinweise gibt für Zuschauer, Macher und Sender. Mag die verlegerische Entscheidung, Medienseiten in Frage zu stellen, auch ökonomische Gründe haben, ihre Konsequenz wird vor allen Dingen sein, dass der Stoff, den das Fernsehen ohnehin bietet, ungebrochener, unreflektierter, mit weniger Übersicht und Nach-Sehen dennoch seinen Weg in das täglich Gedruckte finden wird. Wer Medienseiten abschafft, unterschätzt die spezifischen Möglichkeiten eines Speichermediums gegenüber dem massenwirksamsten Verbreitungsmedium. Das ist Anpassung an die herrschende Geschwindigkeit, Opportunismus gegenüber der Oberfläche, ein Missverstehen unserer Zeit.

Bernd Gäbler ist Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts. Fotos: dpa, Heinrich

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