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Medien: Rohe Geschichte

Raimund Harmstorf zerdrückte als „Seewolf“ 1971 eine Kartoffel – und ganz Deutschland diskutierte. Bis heute ist das Geheimnis nicht gelüftet. Nun wird der Klassiker neu verfilmt

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte, ein Klassiker des deutschen Fernsehens: In „Der Seewolf“, dem Adventsvierteiler 1971, zerdrückt der Schauspieler Raimund Harmstorf eine offenbar rohe Kartoffel mit der bloßen Hand. Millionen Zuschauer wollen noch Jahre später wissen, ob das Gemüse nicht doch gekocht war, ob Harmstorf gar übermenschliche Kräfte besäße. Doch ob nun mit oder ohne Wasserbad – die deutsch- rumänisch-französische Koproduktion nach dem Roman von Jack London übt auch heute noch ihre Faszination aus. Nach fast 40 Jahren soll „Der Seewolf“ für das Fernsehen neu aufgelegt werden. Clasart Television, ein Unternehmen der Tele München Gruppe (TMG), will den Stoff als Zweiteiler in einer internationalen Koproduktion für rund zwölf Millionen Euro verfilmen.

Die Kartoffel, die Kartoffel! So viele Reaktionen auf die bloße Ankündigung eines neuen „Seewolf“. Selten wurde eine gelungene Literaturverfilmung, selten wurde ein so vielschichtiger Stoff in einer einzigen Szene auf den Punkt gebracht: die Geschichte des Schriftstellers Humphrey van Weyden (damals gespielt von Edward Meeks), der nach einem Schiffsunglück in der Bucht von San Francisco von einem Robbenfänger aufgenommen wird. Dessen Kapitän Wolf Larsen zitiert Miltons „Paradise Lost“ und entpuppt sich – wie Melvilles Captain Ahab – als brutal-amoralischer Seemann, der van Weyden heftig zusetzt. Dieser erkennt in Larsen einen Jugendfreund wieder, der sich aus dem Armutsmilieu empor gearbeitet hat und keine Rücksichten mehr nimmt. Nicht nur die Kartoffel bekommt Larsens Kraft zu spüren.

Fressen oder gefressen werden – der Mythos „Seewolf“ hat auch TMG-Geschäftsführer Herbert Kloiber, der Mann, der einst bei Leo Kirch gelernt hat, nicht losgelassen. Die Verfilmung des Abenteuerstoffs sei eine Art „Urknall“ für seine Firma gewesen, sagt Kloiber. Die TMG hatte die aufwendige Freiluft-Inszenierung schon 1971 produziert, Firmengründer Walter Ulbrich das Drehbuch geschrieben. Ob Harmstorfs Kartoffel hart oder weich gekocht wurde, weiß Kloiber nicht. „Ich studierte damals noch Jura in Wien.“ Bei der Suche nach einem würdigen Harmstorf-Nachfolger sei man sich „der Verantwortung bewusst“. Ein paar deutsche Helden-Darsteller fallen sofort ein: Jürgen Vogel? Heino Ferch? Til Schweiger? Oder vielleicht doch der Seelen-Drama- und abenteuererprobte Benno Fürmann der schon den TV-Siegfried gegeben hat?

Egal, wer den neuen Kapitän Larsen spielen darf, die athletische Verkörperung und das Schicksal von Raimund Harmstorf bleiben einzigartig. Obwohl die Produzenten den 31-jährigen Darsteller damals für zu jung hielten, konnte sie der frühere Zehnkampfmeister und Medizinstudent überzeugen, dass er der richtige Mann für die Rolle sei. Harmstorf wurde über Nacht berühmt, mit dem angeblichen Kartoffeltrick sogar ins „Sport Studio“ eingeladen. Für den 1939 in Hamburg geborenen Schauspieler war die Rolle des Larsen nach kleineren Rollen Höhe- und Wendepunkt seiner Karriere zugleich. Danach bekam der Schauspieler bis auf den Abenteuervierteiler „Michael Strogoff“ (1976) nur noch Nebenrollen im „Traumschiff“ oder Angebote für zweitklassige Filme, oft als „böser Deutscher“ besetzt.

Auch als Privatmann wurde Harmstorf vom Pech verfolgt. Er erlitt bei Unfällen schwere Verletzungen. Sein Fischrestaurant ging pleite. Es trug passenderweise den Namen „Zum Seewolf“. Wegen einer Parkinson-Krankheit musste er starke Medikamente einnehmen, die Angstzustände und Wahnvorstellungen auslösten. In der Nacht des 3. Mai 1998 erhängte sich Harmstorf auf seinem Bauernhof in Marktoberdorf, nachdem die Boulevardpresse über seinen Aufenthalt in der Psychiatrie berichtete.

„Seewolf Harmstorf in der Psychiatrie“, so die Schlagzeilen vor fast zehn Jahren – selten wurde ein Darsteller derart mit einer Rolle identifiziert. Wer „Der Seewolf“ hörte und hört, denkt nicht zuerst an Jack London, nicht an die geglückte Verbindung von reißerischer Handlung und philosophischem Tiefgang, nicht an den famosen Kunstgriff mit dem Ich-Erzähler van Weyden, nicht an Regisseur Wolfgang Staudte, sondern an: Raimund Harmstorf. Die Kartoffel. Auch heute noch. In welchem deutschen Sender der neue „Seewolf“ ausgestrahlt wird, kann Kloiber noch nicht sagen. Wohl kaum bei RTL 2 und Tele 5, deren Mitgesellschafter die Tele München Gruppe ist. Eher beim ZDF, das mit dem Adventsvierteiler in den 70ern bei Jugendlichen und Erwachsenen einen Riesenerfolg landete.

Als Autor wurde Nigel Williams verpflichtet, der das Buch zur Miniserie „Elizabeth I“ verfasste. Weitere Produktionspartner sind die in München ansässige Gate Filmproduktion, PowerCorp in Großbritannien und das US-Unternehmen RHI Entertainment. Drehbeginn soll zwar erst im Frühjahr 2008 sein, der Diogenes-Verlag sollte aber jetzt schon mal Neuauflagen vom „Seewolf“ bestellen. Nach dem Harmstorf-Film war das Buch überall ausverkauft.

Übrigens: Die zerquetschte Kartoffel soll wirklich gekocht gewesen sein – das wird zumindest im Internet kolportiert.

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