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Position zweier Gremienmitglieder: Rumoren im RBB
Die Verfassung garantiert die Unschuldsvermutung. Um Schäden an Personen und dem RBB zu vermeiden, gilt es, sich vor Vorverurteilungen zu hüten. Eine Position.
Stand:
In einem Dschungel kann man sich verirren, am schlimmsten in einem Wald unzusammenhängender Gerüchte und Unterstellungen. Zu Beginn guten Mutes, bezweifelt man schon bald jeden Hinweis, alle sind suspekt, zuletzt gar jene, die Erklärung versprechen und einen Ausweg aufzuzeigen versuchen. Verwirrt vergisst man, dass es vielleicht einen Grund gibt, weshalb man in den Dschungel geraten ist – und gerät stattdessen in helle Aufregung.
Im Rundfunk Berlin-Brandenburg kann man gegenwärtig die destruktive Kraft von Unterstellungen beobachten, deren Absicht und Herkunft großteils nebulös sind und deren Wahrheitsgehalt bis heute in keinem Fall erkannt werden kann. Versuchen wir einiges einzuordnen.
Es gibt im Kern vier Themenkreise: 1) Verträge mit Bauberatern für ein Großprojekt, die über Beziehungen an diese gekommen sein sollen; 2) angeblich falsch abgerechnete Spesen; 3) ein Beratervertrag eines nahen Angehörigen der Intendantin mit einem Dritten; 4) eine Gehaltserhöhung. Hinzugekommen ist zuletzt die Unterstellung, die mit der Klärung beauftragte Anwaltskanzlei wäre nicht in der Lage, unbefangen zu prüfen, und interne Revision und Compliancebeauftragte könnten nicht weisungsfrei agieren – man müsse wohl der Spitze des Senders den Willen zur Aufklärung absprechen, vermuten manche Vertreter des Personalrats und Mitglieder verschiedener Gremien.
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Nun ein paar Fakten: Die Abrechnungen wurden vom Rechnungswesen des RBB nicht beanstandet, die nochmalige Überprüfung durch Externe ist im Gange. Der Beratervertrag des nahen Angehörigen wird natürlich nicht im RBB, sondern gegenwärtig dort geprüft, wo die Leistung stattfand. Die Gehaltserhöhung vor einem Jahr mag ungeschickt gewesen sein, war aber offenbar nicht unzulässig. Die Vergabeverfahren und Beraterverträge für das Bauvorhaben, dauerndes Thema und stets eng begleitet im Verwaltungsrat, wurden zwar für viele überzeugend dargelegt, sind unseres Wissens aber auch Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung und werden in den nächsten Wochen vollständig von einer externen Rechtsanwaltskanzlei überprüft.
Doch das ist nur ein Teil dieser Angelegenheit, der schlimmere folgt. Es gibt ja immer mindestens zwei Möglichkeiten, auch hier: Man schafft lückenlose Klarheit in geordneter Weise, aber unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung, oder man folgt der erregten Menge und schwingt sich flugs ohne Prüfung zum Richter auf.
Knäuel an Verdächtigungen und Unterstellungen
Dem Publikum wird jedoch Möglichkeit Nummer drei geboten: Alles wird so lange wiederholt, vermengt und vermischt, bis sich ein für viele undurchschaubares Knäuel an Verdächtigungen und Unterstellungen bildet, Grundlage einer „Affäre“ voller verschlungener Verschwörungen.
In diese Stimmung hinein spricht man von Personen, die „angezählt“ sein sollen, wodurch diese dann auch (von wem auch immer) benannt und beschädigt sind; dem Außenstehenden vermittelt sich ein dunkles Sittenbild.

© Kurzeder/IHK, Carstensen/dpa, Montage: Tsp
Es raunt und rumort, aus dem Zusammenhang gerissene interne Papiere des kontrollierenden Verwaltungsrates gelangen an die Öffentlichkeit, nur einzeln und unabhängig voneinander, dringend zu untersuchende Sachverhalte werden mir nichts, dir nichts zu Bestandteilen des öffentlichen Erregungsprozesses, „Konsequenzen“ werden eifrig und lautstark gefordert. Von der Öffentlichkeit unbemerkt entfällt zwar bei Gelegenheit still der eine oder andere Vorwurf, dafür gibt es aber Ersatz, wenn es gelingt, jene in Zweifel zu ziehen, die ihn entkräftet haben. Seit Jahrhunderten ist das der unwürdige Verlauf jedes Skandalisierungsprozesses, der in vorliegendem Fall selbst in den eigenen Gremien an Fahrt gewinnt und sich aus sich selbst nährt. Opfer sind eingepreist.
Wir wollen klarstellen: Auch die Unterzeichnenden sind für vollständige und schnelle Aufklärung aller Vorwürfe. Diese ist nun im Gange, und wir freuen uns auf die Berichte – denn dann erst weiß man, was die Handlungserfordernisse sind und wie zu verfahren ist. Im Augenblick spekulieren wir aber nicht und halten es eher mit Sokrates, der sagte, dass er nur wisse, dass er nichts wisse. Wir sehen gleichzeitig mit großer Sorge, dass die Chance immer kleiner wird, erhebliche Schäden an Personen und dem RBB zu vermeiden.
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Tatsächlich stehen unsere Landesrundfunkanstalt und ihre Leitung vor großen und kontroversen Herausforderungen: die dringend notwendige finanzielle Sanierung angesichts rasant steigender Kosten, die schmerzliche Einschnitte notwendig macht. Die Überführung von Programm, Technik und Prozessen in eine Zeit, in der das klassische Fernsehen und Radio immer weniger Gewicht haben, dafür aber neue Medien beherrscht und bedient werden müssen. Die mit der demografischen Entwicklung zusammenhängende, sich verändernde Aufmerksamkeitskultur, der zu begegnen der Stein der Weisen weltweit gesucht wird. Und so fort.
Verständliche Unruhe im RBB
Im RBB herrscht also verständliche Unruhe, reichlich unterschiedliche Interessen stehen zueinander im Gegensatz, Kommunikation ist eine tägliche Herausforderung, und das Tempo der letzten Jahre überfordert manche. All dem gilt es Rechnung zu tragen, zuvorderst in der Intendanz und der Geschäftsleitung, aber auch in Gremien und Belegschaft – und das in einer Zeit, in der vielen Menschen im Land der immense Wert des öffentlich-rechtlichen, unabhängigen Rundfunks zunehmend weniger bewusst ist.
Dass die Intendantin des RBB gegenwärtig auch ARD-Vorsitzende ist und die Aufgabe hat, ebendieses öffentlich-rechtliche System zu verteidigen, ist nur ein weiterer, aber erwähnenswerter Aspekt.
In einigen Wochen erwarten wir die transparente Darstellung aller in Rede stehenden Umstände. Bis dahin sollte man Ruhe bewahren, sachlich bleiben, die Ziele nicht aus den Augen verlieren und sich vor jeder Vorverurteilung hüten. Und nicht vergessen, dass Redefreiheit, aber auch Unschuldsvermutung in der Verfassung verankert sind.
Jan Eder ist Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin und Mitglied des RBB-Rundfunkrates; Martin Rennert war von 2006 bis Anfang 2020 Präsident der Universität der Künste Berlin. Er gehört dem Verwaltungsrat des RBB an.
Jan Eder, Martin Rennert
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