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Stecker raus. Russland will den Westen vorübergehend aus dem Netz entfernen.

© imago/Martin Bäuml Fotodesign

Russland will nationales Intranet: Eiserner Digital-Vorhang

Duma und Kreml wollen mit einer Firewall ein „souveränes russisches Internet“ etablieren. Cyber-Attacken aus dem Westen sollen abgewehrt werden

Man müsse sich wundern, dass dieses Gesetz erst jetzt komme, meinte der namhafte russische Politologe Georgi Bowt dieser Tage ohne jeden Sarkasmus in seiner Zeitungskolumne. Die Duma, die Abgeordnetenkammer des russischen Parlaments, hat gerade einen Gesetzentwurf für ein „souveränes russisches Internet“ gebilligt. Russland will aus dem World Wide Web ein nationales Intranet machen. Eine Art „Firewall“ soll Russlands Schild gegen westliche Cyber-Attacken werden. Bei Bedarf. Und dieser „Bedarf“ ist weit gefasst. Im Klartext heißt es: Künftig sollen unerwünschte Nachrichten weder nach Russland hinein noch aus Russland heraus gelangen. Der Staat übernimmt Beobachtung und Kontrolle. Im Kontext russischer Innen- und Außenpolitik, meinte Bowt, sei ein solches Gesetz „unausweichlich“. Überhaupt gehe ein weltweiter Trend zur Nationalisierung bestimmter Bereiche des Internets. Welche Länder die Vorreiter sind, sagt Bowt nicht: Nordkorea, China, Iran.

Einer der Autoren des Gesetzes ist der Abgeordnete Andrej Lugowoi. Im Westen gilt der frühere Geheimdienst-Offizier als Mörder. Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, dass Lugowoi den Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko 2006 in London mit Polonium-210 vergiftet hat. In Russland ist er heute einer der prominentesten Lobbyisten privater Sicherheitsdienste. Im Parlament sitzt er für die kremltreue rechtsextreme Partei von Wladimir Shirinowski.

Russisches Intranet

In dem Netz-Gesetz geht es offiziell darum, „eine unabhängige Infrastruktur für ein störungsfreies Funktionieren des Internets zu schaffen“. So steht es in den Erläuterungen, mit denen die Autoren das Gesetz in die Duma eingebracht haben. Und tatsächlich war diese Idee auch der Ausgangspunkt, als 2014 die Diskussion über ein russisches Intranet begann. Als der Westen die ersten Sanktionen wegen der Besetzung der Krim verhängte, fürchtete der Kreml, er könnte durch eine Blockade des internationalen Zahlungsverkehrs von Swift, Mastercard oder Visa abgeschnitten werden.

Diese Befürchtungen gibt es immer noch. Aber inzwischen geht es um viel mehr. Das zeigt sich, wenn man die Erläuterungen zum Gesetz weiterliest. Angestrebt wird eine Minimierung der Daten, die ins Ausland übertragen werden. Deshalb sollen virtuelle „Grenzübergänge“ und Austauschpunkte für Daten eingerichtet werden. Provider müssen die technischen Möglichkeiten schaffen, „im Falle von Gefahr“ faktisch in Realzeit zu reagieren. Zuständig dafür wäre die staatliche Regulierungsstelle für die Telekom, Roskomnadzor. In der Praxis würde die Kontrolle jedoch beim Geheimdienst liegen, meinen IT-Experten der Nichtregierungsorganisationen. Schon heute haben Provider Informationspflichten an den FSB.

Reichen elf Server?

Mit Besorgnis sehen aber nicht nur NGOs und Oppositionelle dem neuen Gesetz entgegen. Auch der Unternehmerverband hat sich mit einem Brief voller Skepsis an die Duma gewandt. Er fürchtet, es könne katastrophale Folgen haben, wenn Russland per Knopfdruck von den wichtigsten ausländischen Servern abgetrennt werde, über die große Teile des Geschäftsverkehrs russischer Konzerne laufen. Die Unternehmer wurden beschieden, in Russland gebe es elf große Server und die seien für den nationalen Gebrauch völlig ausreichend.

Der russische Rechnungshof hält die Kosten der „großen russischen Firewall“ für zu hoch. Offiziell kalkuliert sind sie bei umgerechnet 300 Millionen Rubel (rund vier Millionen Euro), Experten gehen jedoch von einem Betrag aus, der mindestens fünf Mal so hoch ist – und das nur für die Einführung. Hinzu kämen dann die jährlichen Betriebskosten.

Um alle Einwände zu entkräften, soll das „souveräne“ russische Internet in den nächsten Wochen getestet werden. Dann werden die Verbindungen nach Westen vorübergehend gekappt. Frank Herold

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