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Medien: Schallgedämpft

Die US-Medien suchen den richtigen Ton für den 11. September

Die amerikanischen Fernseh-Networks planen für den 11. September eine ausführliche Berichterstattung, die sich in der Regel über den ganzen Tag erstreckt. Die morgendlichen Nachrichten mit Interviewgästen aus dem öffentlichen Leben und den Kreisen der Betroffenen werden zum Teil von zwei auf sechs Stunden ausgedehnt. Bei NBC wird es am Nachmittag eine Diskussionveranstaltung mit Teilnahme des Publikums geben, am Abend überträgt der Kanal das klassische Live-„Concert for America" aus Washington. Anders als das Disney-Network ABC, wo die Terrorattacke und der Einsturz der Türme Minute für Minute rekonstruiert werden sollen, will NBC die Bilder vom Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center auf ein Minimum reduzieren. CNN will seine Ganztages-Berichterstattung vom Dach seines Studios in Manhattan aus gestalten.

Die ungewöhnlich gedämpfte Stimmung ist besonders bei den Werbetreibenden spürbar. Konzerne wie Pepsi Cola, General Motors sowie alle US-Fluglinien werden überhaupt keine Werbung schalten. Das Fox Network, das zu Rupert Murdochs News Corporation gehört, verzichtet ebenfalls ganz auf Werbespots. Die seltene Regung bei den sonst so profitgetriebenen TV-Leuten kommt nach Einschätzung des Fachjournalisten Max Robins auch daher, dass viele Werbeagenturen in New York beheimatet sind und selbst von der Tragödie betroffen waren. „Sie wollen nicht, dass sie als diejenigen dastehen, die von der Tragödie profitieren." Zudem müsse man die finanzielle Seite berücksichtigen. „Man will nicht eigens einen Werbeclip mit dem richtigen Ton kreieren, der dann doch wieder in der Trauer des gesamten Tages untergeht." Die Medien könnten an diesem Tag nach Branchenschätzungen insgesamt 50 bis 60 Millionen Dollar verlieren. „Dies ist nunmal kein Tag, an dem man Geld macht," resümiert Robins.

Die Zuschauer selbst sind der Werbung gar nicht so abgeneigt, wie die Fernsehleute denken. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens RoperASW sagten 36 Prozent der Amerikaner, Werbung sollte wie üblich laufen, und 25 Prozent würden Werbung tolerieren, wenn sie nicht im Rahmen der Gedenk-Sendungen laufen würde. Die Menschen scheinen auch beim Fernsehprogramm das Bedürfnis nach Normalität zu haben. Eine andere Untersuchung ergab, dass diejenigen, die besonders lange den Bildern der Terroranschläge und seiner Folgen ausgesetzt waren, auch eher am so genannten Post-Traumatischen-Stress-Syndrom leiden würden. Dies berichtete das „Journal of the American Medical Association“.

Der emotionale Stil, den die US-Sender über die Jahre so perfektioniert haben, macht es nach Ansicht des „Wall Street Journals“ nicht einfacher. „Es ist unmöglich zu ignorieren, welche Rolle das Fernsehen dabei spielt, wie wir auf all diese Toten reagieren," schreibt ein Kommentator. „Es verzerrt die Realität. Wir entwickeln Gefühle, die wir normalerweise nie entwickeln würden. Ich bin nicht sicher, was herauskommt, wenn man aufrichtiges Mitgefühl mit Voyeurismus kreuzt."

Am intensivsten trifft der Medienansturm zum 11. September die Betroffenen selbst. Angehörige von Opfern, wie etwa die Frau eines als Heroen gefeierten Passagiers des über Pennsylvania abgestürzten Flugzeugs, haben Sprecher eingestellt, die die Interviewanfragen regeln. Die meisten wollen die Anzahl der Interviews auf ein Minimum reduzieren. Klagen, dass die Medien unsensibel mit den Opfern umgehen würden, wurden nicht öffentlich. Der frühere Polizeichef von New York, Bernard Kerik, hatte jedoch Angebote von den Nachrichtensendern bekommen, mehrere Tage lang als Berater zu fungieren, damit die Sender exklusiven Zugang zu ihm haben. Er lehnte ab.

Am heftigsten dürfte es den früheren Bürgermeister Rudolph Giuliani treffen. Er habe sich, laut Auskunft einer Sprecherin, noch nicht entschieden, wem er Interviews geben wolle. „Es ist schwierig, auf diese grässlich überwältigenden Anfragen angemessen zu reagieren", sagt sie. „Die Anrufe kommen aus der ganzen Welt." Gerti Schön

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