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Integration. Ayantu (Sayat Demissie) hilft Frank Michalka (Jürgen Vogel), sich in ihrem Dorf in Äthiopien einzuleben. Foto: ARD

© ARD Degeto/WDR/MOOVIE/Yidnekache

Schirach-Novelle in der ARD: Der gute Mensch Michalka

Die ARD zeigt „Der weiße Äthiopier“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle. Der vorweihnachtliche Film ist eine Parabel zum guten Leben.

Eine Pappschachtel mit Essen, in Alufolie gewickelte Fladen. Michalka hat Hunger und isst gierig mit den Händen, ständig beobachtet von einem Beamten der Justizvollzugsanstalt. Das Aufnahmegerät spielt ein Wiegenlied in einer vertrauten Sprache, und er beginnt, erst zögerlich, seine Erzählung.

Nach dem Fernsehexperiment „Terror“ auf der Grundlage des gleichnamigen Theaterstücks von Ferdinand von Schirach zeigt die ARD nun die filmische Adaption einer Kurzgeschichte desselben Autors. „Der weiße Äthiopier“ besteht aus dem Stoff, aus dem gerne TV-Träume gestrickt sind: ein Mann mit krimineller Vergangenheit, der in Afrika sein Glück findet und in Deutschland alles zu verlieren droht. Eine junge Referendarin, die nicht locker lässt, bis sie ihren Chef von der Wahrheit überzeugen kann. Und natürlich eine Love Story, die Hindernisse überwindet. Nur: „Der weiße Äthiopier“ (Regie: Tim Trageser, Buch: Heinrich Hadding) überrascht dann doch, was auch an der literarischen Vorlage und den schauspielerischen Leistungen seiner Darsteller liegt.

Frank Xaver Michalka (Jürgen Vogel), so viel wird gleich zu Beginn deutlich, steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Ein Ansporn für Sophie Kleinschmidt (Paula Kalenberg), Referendarin in einer großen Kanzlei und mit Michalkas Akte und der Vorbereitung seines Prozesses wegen bewaffneten Raubüberfalls betraut. Es könnte kurz vor dem Ende ihres Praktikums ihr erster Fall sein, die Chance, ihrem Chef zu zeigen, was in ihr steckt. Nur: Michalka weigert sich zu sprechen, mit ihr und seinem Umfeld.

Mit viel Fingerspitzengefühl gewinnt sie dann doch sein Vertrauen. Und überzeugt mit ihren Recherchen sogar ihren strengen Chef Dr. Weilandt (Thomas Thieme, Urgestein im deutschen Fernsehkrimi), sich selbst des Falls anzunehmen.

Zwei Leben eines facettenreichen Jürgen Vogels

Michalkas zwei Leben entrollen sich Stück für Stück im Gerichtssaal, seine Geschichte erzählen andere für ihn. Nach einer verkorksten Kindheit und einem Streit im Rotlichtmilieu landet Frank Michalka mit einer Tasche voll Geld in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Weit genug weg von seiner Vergangenheit in Deutschland, einem Land, in dem er nie zurechtgekommen ist. Er lässt sich treiben, eine Erkrankung führt ihn schließlich in ein kleines Dorf, in dem die junge Witwe Ayantu, gespielt von der äthiopischen Sängerin Sayat Demissie, ihn versorgt und bei sich aufnimmt.

Was ein Abklatsch von „Nirgendwo in Afrika“ oder „Die weiße Massai“ sein könnte, stellt sich bald als subtiler heraus, als man es von einem vorweihnachtlichen Film erwarten würde. Nicht zuletzt liegt das auch an Jürgen Vogel als stotterndem Außenseiter Michalka und Paula Kalenberg, deren eifriges Engagement entfernt an Joanne K. Rowlings Musterschülerin Hermine Granger aus den Harry-Potter-Romanen erinnert.

Die Zuschauer erfahren von Michalkas zweitem Leben, seiner Demut beim Lernen des Amharischen, einem von 80 Dialekten in Äthiopien. Die Verantwortlichen haben sich beschäftigt mit dem Land, das Dorf ist auch, aber nicht nur, Kulisse für Franks Hoffnung auf einen Neuanfang. Als Ayantu ihn bittet, seine eigene Hütte zu beziehen, bringt er sich noch mehr ein in die Stammesgesellschaft, versucht, es allen recht zu machen, auch wo ihm Ablehnung entgegengebracht wird. Wie Bertolt Brechts gutem Menschen von Sezuan fällt es Frank Michalka schwer, „gut zu sein und doch zu leben“.

Die Zuschauer sehen einen sehr körperlichen, sehr intensiven Jürgen Vogel in einer seiner facettenreichsten Rollen. In den Augen der Beobachter und des Staatsanwalts sitzt er als voll tätowierter Schlägertyp auf der Anklagebank, einsilbig zwar, aber klar verantwortlich für sein Handeln. In seiner Zelle und im Dorf in Äthiopien zeigt er sich als einfühlsamer, verletzlicher Mann, der Träume hat und große Mühe, sich anderen zu öffnen.

Eine Stimme in schwierigen Zeiten

„Der weiße Äthiopier“ ist weder nur die Lebensgeschichte des Frank Michalka noch Neuauflage eines fernsehtauglichen Afrika-Bildes. Dieser Film versteht es, Land und Menschen eine Stimme zu geben. Eine, die von Hindernissen spricht, von Niederlagen, aber auch von Emanzipation, vom guten Leben in schwierigen Zeiten. Das macht besonders eine kleine Szene am Ende des Prozesses deutlich. Wo das Geschehen bislang aus Erzählungen anderer rekonstruiert worden ist, immer wieder durch den ungerührten Staatsanwalt Kinnecker (Robert Gwisdek) unterbrochen, tritt nun der Arzt Dr. Kidanu (Selam Tadese) auf. Mit einer Videobotschaft der Dorfbewohner zeigt er, was nach Michalkas abrupter Abreise geschehen ist. Das Leben geht wieder seine gewohnten Bahnen, der Kaffeeanbau hat das Dorf reich gemacht. Michalka, das merkt man, hat seine Familie wiedergefunden. Reicht das für ein Happy End? Wer weiß. Diese Geschichte, die erzählen noch immer andere.

„Der weiße Äthiopier“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

Rosa Feigs

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