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Medien: Schlagfertig, streitlustig, unbestechlich

Der Fernsehjournalist Claus Hinrich Casdorff ist tot. Ein Nachruf vom WDR-Intendanten Fritz Pleitgen

Claus Hinrich Casdorff und mich verband eine jahrzehntelange Zugehörigkeit zum Westdeutschen Rundfunk, aber im Sender hatten wir nie direkt miteinander zu tun. In den meisten seiner Glanzjahre befand ich mich als Korrespondent im Ausland beziehungsweise in der DDR. Obwohl oft Tausende Kilometer zwischen uns lagen, wusste ich um seine starke Stellung in unserem Haus. Er galt als eine hoch respektierte journalistische Instanz, nicht nur in den Programmen unseres Senders, sondern im deutschen Journalismus überhaupt. Das Publikum schätzte ihn wegen seiner Souveränität, seiner fachlichen Sicherheit und seines Wortwitzes. Es betrachtete ihn als seinen engagierten und unbestechlichen Anwalt. Einfach war er nicht. Wer sich mit ihm einließ, verließ die Walstatt selten als Sieger. Seine Mitarbeiter aber schworen auf ihn. Mit väterlichem Stolz wies er darauf hin, dass aus ihnen etwas geworden sei: Martin Schulze, Klaus Bresser, Ulrich Wickert, Claus Richter und andere.

Wenn man einem Unternehmen wie ich über 40 Jahre angehört, ist die Verlockung groß, die Vergangenheit in einem freundlicheren Licht zu sehen als die Gegenwart. Es hat in den zurückliegenden Jahrzehnten große Leistungen im Rundfunk gegeben, aber wir haben auch deutliche Fortschritte gemacht. Dies gilt insbesondere für die aktuelle Information, für Reportagen und Dokumentationen.

Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass wir in den 60er- und 70er-Jahren stärkere Persönlichkeiten im politischen Journalismus hatten. Sie hatten gegenüber den heutigen Akteurinnen und Akteuren den – ich muss zugeben, zweifelhaften – Vorteil, mehr Lebenserfahrungen in extremen Situationen für ihren Beruf einbringen zu können. Dazu gehörte zweifellos Claus Hinrich Casdorff.

Wer als 16-Jähriger den Mut aufbringt, sich gegen ein brutal vorgehendes Regime wie das der Nazis politisch zu engagieren, der lässt sich erst recht nicht in demokratischen Zeiten einschüchtern. 1942 war das, als Claus Hinrich Casdorff in die Fänge der Gestapo geriet. Sie haben ihn verprügelt und ins Zuchthaus geworfen, seine Überzeugung aber nicht gebrochen.

Als blutjunger Soldat ist er an die Front geschickt worden, wo er schwer verwundet wurde und in sowjetische Gefangenschaft geriet. Diese schlimmen Erfahrungen haben ihn sein Berufsleben lang beeinflusst, wie er viele Jahrzehnte später feststellte. 1947 kam er zum NWDR. Für ihn ein äußerst günstiger Einstieg, denn bei dem von der BBC geprägten Sender erhielt er eine erstklassige Ausbildung, die für seine Karriere nur von Vorteil sein konnte.

Claus Hinrich Casdorff verfügte über ein starkes Selbstbewusstsein und eine charmante Arroganz. Bei all dem, was er mitbrachte – Lebenserfahrung, Ausbildung, Souvernität – wäre er heute im Polit-Talk des deutschen Fernsehens ein Star, vermutlich eine Klasse für sich. Er war ein ganz eigener Typ. Er besaß Schlagfertigkeit, sarkastischen Humor und vor allem den entschlossenen Willen, sich nicht das Heft aus der Hand nehmen zu lassen. Ich hätte ihn gerne im heutigen Wettbewerb gesehen, ohne die Leistungen der gegenwärtigen Protagonisten schmälern zu wollen.

Für den Westdeutschen Rundfunk war es sicher ein großer Gewinn, dass der Hamburger nach Köln wechselte. Für ihn selbst war es gut, dass er sich als Rundfunk-Journalist erst im Hörfunk entwickelte und dann zum Fernsehen ging. Damals ging es nicht anders, aber ich würde das auch heute noch für den besten Weg halten, um Wortgewandtheit und schnelles Reagieren zu trainieren.

Sein Einstieg in das Fernsehen vollzog sich über die von Werner Höfer eingerichtete Sendung „Hier und Heute“. Zu einer herausragenden Figur im Fernsehjournalismus wurde Claus Hinrich Casdorff als Leiter und Moderator der von ihm geschaffenen Sendung „Monitor“. Das Glanzstück darin war das Kreuzfeuer-Interview, in dem Casdorff zusammen mit Rudolf Rohlinger die Größen der damaligen Zeit in die Zange nahm. Diese Auseinandersetzungen genoss das Publikum wie spannende Fußballspiele. Die Partner waren härteste Brocken, wie Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß. Man schenkte sich nichts, aber es kam auch etwas dabei heraus – Inhaltliches oder Charakterbeschreibungen. Legendär war das Match mit Franz-Josef Strauß, der nach der Sendung so erbost war, dass er gegen die Einbahnstraße davon preschte. Damals fuhren Politiker gelegentlich ihre Autos noch selber.

Solche Episoden beeindrucken heute nicht mehr. Aber damals traten öffentlich-rechtliche Journalisten unter einem anderen Druck an. Die Parteien mischten sich sehr stark in die Angelegenheiten der Sender ein. Maßnahmen gegen kritische Journalisten oder Beiträge zu ergreifen, gehörte zu den Standard-Forderungen, denen sich Programmverantwortliche ständig ausgesetzt sahen. Wer also gegen den Strich bürstete, musste schon eine gehörige Portion Standfestigkeit mitbringen. In dieser Hinsicht war Casdorff gut ausgestattet, seine damaligen Vorgesetzten zum Glück auch.

Claus Hinrich Casdorff, den seine Freunde „Hinni“ nannten, liebte es, sich mit interessanten Menschen zu messen. Dafür entwickelte er Formate, wie „Gegenrede“ und „Ich stelle mich“. Wesentliche Elemente davon finden sich in vielen Gesprächs-Sendungen bis heute wieder. Merkwürdigerweise ist mir kaum in Erinnerung geblieben, dass Claus Hinrich Casdorff zwölf Jahre lang unser Auslandsmagazin „Weltspiegel“ moderiert hat. Trotz seiner Weltläufigkeit brachte man ihn mit dem internationalen Geschehen – anders als das bei Ruge oder Scholl-Latour der Fall war und ist – kaum in Verbindung. Claus Hinrich Casdorff war der Mann für das hiesige Zeitgeschehen.

Wir vom WDR und von der ARD haben ihm viele große Sendungen zu verdanken. In der Geschichte unseres Senders wird er einen herausgehobenen Platz einnehmen - als unabhängiger Journalist mit viel Esprit und starkem Charakter. Ein Vorbild!

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