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Notgemeinschaft. Oskar (Joel Spira, links), Lasse (Björn Bengtsson) und Jonna (Aliette Opheim) zwingt der Nachlass ihrer Mutter zusammen. Foto: Arte

© Sveriges Television/Baldur Br

Schmerz auf den Schären: Familie oder da wo das Blut dicker ist als das Wasser

Die schwedische Serie „Blutsbande“ zeigt Familie als Hort von Kontrasten und Konflikten.

Wir lassen uns Schweden nicht kaputtmachen – und schon gar nicht von den Schweden. So denkt das ZDF und schickt seine „Herzkino“-Zuschauer ein ums andre Mal ins skandinavische Glück. Laufen einfach zu prächtig, diese Seelenfilmchen von Inga Lindström aka Christiane Sadlo. Ob der gemeine Schwede je zu sehen bekommt, was deutsches Publikum als verkrachte Bullerbü-Romantik für originäres Schweden hält?

Was Schweden selbst in Krimi und Psychokram auf deutsche Bildschirme schiebt, das ist so fern von Inga Lindström entfernt wie ein Elch vom Rehkitz. „Blutsbande“ also heißt die zehnteilige Serie, die Arte am heutigen Donnerstag erneut auf Zuschauerfang schickt, um vom 12. Januar 2017 an Staffel II folgen zu lassen. Der Titel will erst gar nicht camouflieren, was da auf Aland in den Schären zur Verhandlung ansteht: eine Familie, ihr Drama, wo wenig Glück und sehr viel Unglück zu Hause sind. Unbeglichene Rechnungen, Altlasten – der Konflikte-Katalog ist dicker als der von Ikea.

Die Mutter lädt zum Familienrat

Dabei scheint die Sonne gern und viel über diesem zauberhaften Stück Skandinavien. Davon profitiert Anna-Lisa Waldemar (Stina Ekblad), die mit ihrem Sohn Oskar (Joel Spira) und dessen Frau Liv (Jessica Grabowsky) ein kleines Hotel betreibt. Ohne Oskars Wissen beruft Anna-Lisa seine Schwester Jonna (Aliette Opheim) und seinen Bruder Lasse (Björn Bengtsson) am Beginn der Sommersaison zu einer Art Familienrat zusammen. Die drei Geschwister haben sich lange nicht gesehen, und wenn die Mutter den Grund der Zusammenkunft zum Geheimnis macht, so spielen auch ihre Kinder mit verdeckten Karten. Jonna vielleicht am wenigsten, die Schauspielerin feiert erste Erfolge, die Liebe zu Regisseur Manne (Torkel Pettersson) verleiht ihrem Leben Leichtigkeit. Bruder Lasse gibt den lässigen, erfolgreichen Gastronomen. In Wahrheit ist der alleinerziehende Vater von Kim (Molley Nutley) in der Bredouille. Er hat sich in mafiöse Strukturen verwickeln lassen, musste aus Stockholm fliehen. Und Oskar? Plant hinter dem Rücken seiner Mutter eine Komplettverwandlung des Hotels. Was aber plant Anna-Lisa Waldemar? War ja nie ganz leicht zwischen ihr und den Kindern, die mit ihrer Ankunft auf Aland die alten Konflikte reimportieren. Der Vater ist abhandengekommen, die Söhne, die von ihm schikaniert wurden, halten ihn (gerne) für tot, Jonna zweifelt. Dann ist Anna-Lisa verschwunden. Das Erbe schleudert ihre Kinder aus der Umlaufbahn.

Das Ensemble überzeugt

Henrik Jansson-Schweizer hat die Family-Drama-Serie entwickelt, zusammen mit Niklas Rockström und Morgan Jensen die Drehbücher geschrieben. Jansson-Schweizer arbeitet zudem erfolgreich als Produzent in Schweden, er hat zusammen mit Regisseur Felix Herngren den schwarzhumorigen Weltbestseller „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ verfilmt.

Der Creator weiß bei „Blutsbande“, was er tut, nicht weniger weiß es Regisseur Erik Leijonborg. Die eigentliche Sensation aber ist das Ensemble, weil es die äußere Idylle mit den familiären, mit den inneren Spannungen individuell kontrastiert. Es gibt vielleicht schwache Charakter bei den Waldemars, schwache Schauspieler gibt es nicht. Jedes Familienmitglied ist ein eigener Kosmos, „Blutsbande“ ist sehr erwachsenes Fernsehen.

Sicher, die Grundkonstellation ist so neu nicht, skandinavische Fiktion ist prädestiniert dafür, das Konstrukt „Familie“ zu dekonstruieren. Aber solange es Familie gibt, gibt es immer wieder Familien, die auf überraschend neue Weise unglücklich sind. „Blutsbande“ kann zur Introspektion für den Zuschauer werden – Schmerz auf den Schären. Joachim Huber

„Blutsbande“, Arte, Donnerstag, um 20 Uhr 15

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