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Medien: Schön schrullig

Der schleichende Erfolg der Vox-Serie „Gilmore Girls“

Da sitzen ein Mädchen und ein Junge auf Barhockern in einem Café, vor ihr liegt ein Stapel Uni-Notizen, sie sagt: „Ich fasse es nicht – du hast noch nie ,The Office’ gesehen?“ und weiter: „Sie ist brillant. Besonders beim vierten Mal Sehen.“

Das Mädchen heißt Rory Gilmore, sie ist eine der Hauptdarstellerinnen der Fernsehserie „Gilmore Girls“, aus der auch die beschriebene Szene stammt. Aber was Rory da über die britische Anti-Sitcom Serie „The Office“ sagt, das gilt auch für das Erfolgs-Geheimnis der „Gilmore Girls“. Die aktuelle, fünfte Staffel der Serie hat Vox vom Nachmittag in die beste Sendezeit, 20 Uhr 15, verlegt, und nun macht die Serie Marktanteile von durchschnittlich 13 Prozent. Das ist mehr als ordentlich.

Dabei sind die Serienzutaten auf den ersten Blick eher typisch: Es geht um zwei gewitzte Frauen, Rory und Lorelai Gilmore, Tochter und Mutter, die eine knappe zwanzig, die andere Mitte dreißig. Jede Folge erzählt eine abgeschlossene Geschichte, es geht etwa um die Wahl der Universität, das Gründen des eigenen Hotels und immer wieder um Mister Perfect. Dabei haben die Gilmores das Selbstbewusstsein von „Sex and the City“, gepaart mit ein bisschen Vorstadt-Grün. Schnelle Wortgefechte und Zitate aus Literatur und Film machen das direkte Vergnügen der Serie aus: Rory zitiert Flaubert oder Hemingway, ihre Freundin verkündet: „Wir sind die Töchter von Emma Goldman und Hilary Clinton“, jede Episode ist gespickt mit Hinweisen auf Serien (etwa „Quincy“ oder „Spongebob“) und Schauspieler (von Ralph Fiennes bis zu den Diven der 40er Jahre). Es gibt aber noch einen tieferen Charme: Von Folge zu Folge, kapitelweise sozusagen, werden die Charaktere immer präziser gezeichnet – so wie in einem guten Roman. Und für diesen Genuss muss man die „Gilmore Girls“ eben mehrmals sehen.

Wenn im Stammcafé der Gilmores beispielsweise zehn Menschen sitzen, dann sind das keine beliebigen Komparsen, sondern jede der Figuren hat seine schrullig-liebenswerte Geschichte. Da gibt’s das ungleiche Rocker-Paar, sie rund, blond, fast so kurz geraten wie eine Kleinwüchsige, er riesengroß und spindeldürr, oder da ist Lorelais beste Freundin Suki. Sie wiegt mehr als hundert Kilo, ist die Einzige mit stetig glücklicher Beziehung. Oder da ist der ungelenke Kirk, dem eine fast slapstickähnliche Rolle zukommt. Sein größter Ehrgeiz gehört dem Gewinn eines 24-Stunden-Tanzmarathons, seine Katze hat er nach sich selbst getauft. Er erträgt tapfer die Kratzattacken des Tieres – bis „Katze Kirk“ den „Mensch Kirk“ (so seine Unterscheidungs-Typologie) verjagt. Das wird ganz fein, nebenbei, erzählt: Nur für Sekunden, für einen Kameraschwenk, sieht man den zerkratzten Nerd auf den Stufen seines Hauses schlafen, als die Szene eigentlich gerade einen Nachtspaziergang der Gilmores zeigt.

Überrascht war der Sender Vox davon, dass ein Drittel der Zuschauer Männer sind: „Das liegt wohl daran, dass die Serie die ganze Bandbreite des weiblichen Wesens abbildet, die Männer so erfahren wollen, wie Frauen ticken“, sagt Vox-Sprecherin Sonja Harnisch. Besonders ist auch das Alter der Zielgruppe: Zwischen 14 und 29 Jahre sind die meisten Zuschauer alt. Solch eine Bandbreite gibt es in keiner anderen Serie des Senders, sagt Harnisch. Zum einen mag das am Alter der Hauptcharaktere liegen, zum anderen an den unterschiedlichen Typen: „Quer durch den ganzen Cast identifizieren sich Zuschauer mit den Figuren“, sagt Harnisch zu ihren Beobachtungen des Internet- Chats zur Serie. Die Fanbasis ist riesig, über zehn inoffizielle Webpages gibt es in Deutschland, eine US-Seite verkauft sogar Kleidung der Schauspieler, etwa T-Shirts („Reading is sexy“ steht etwa auf einem zitronengelben T-Shirt Rorys) oder Schlafanzüge (mit aufgedruckten Eishörnchen). Zeug, das viel zu normal für eine Carrie aus „Sex and the City“ gewesen wäre, und viel zu rockig für die „Desperate Housewives“. Aber man könnte sich vorstellen, dass Barbara Schöneberger diesen kitschigen Schlafanzug trägt oder Charlotte Roche das gelbe T-Shirt. Oder auch man selbst.

„Gilmore Girls“; Vox, 20 Uhr 15

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