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Schreiben, was ist. „Endlich sind wir echte Journalisten“, sagt Jeannette Ben Abdallah, Redakteurin bei der Zeitung „Essafaha“, die bis vor kurzem noch regimetreu war. Foto: dpa

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Schreiben, was ist: Revolution der Medien

Drucken, senden, twittern: Tunesiens Journalisten entdecken die Pressefreiheit. Und der Blogger Slim Amamou wird Mitglied im Kabinett.

Der Zeitungshändler von La Marsa-Ville kommt kaum hinterher. Sobald er einen Stapel der Tageszeitungen „Le temps“ oder „As-Sabah“ ausgelegt hat, muss er schon wieder in das Hinterzimmer gehen, um Nachschub zu holen. „Viele Leute haben vorher überhaupt keine Zeitung gekauft, weil sie fanden, dass nichts drinsteht – das ist jetzt anders“, freut sich der Händler. Die Exemplare der französischen Tageszeitungen „Le Monde“ und „Libération“, die seit der kritischen Berichterstattung über die Präsidentenwahl 2009 in Tunesien nicht mehr in das frankofone Land eingeführt werden durften, reißen sich die Leute in dem wohlhabenden Vorort von Tunis regelrecht aus der Hand. In der Buchhandlung des nahe gelegenen Karthago, wo der Präsidentenpalast steht, sind jetzt gut sichtbar kritische Bücher über die Präsidentenfamilie ausgelegt. Dazu gehört „Die Regentin von Karthago“, ein Buch französischer Journalisten über die Machenschaften der ehemaligen First Lady Leila Trebulsi und ihren Clan, der sich Schlüsselsektoren der tunesischen Wirtschaft unter den Nagel gerissen hatte. Viele Tunesier hatten das Buch beim Besuch in Frankreich gelesen, aber nicht gewagt, es im Koffer mit nach Hause zu nehmen.

Im Internet herrscht schon ein paar Tage länger Meinungsfreiheit. Zehn Minuten nach seiner letzten Rede an jenem Donnerstag, als Präsident Ben Ali noch glaubte, er könne sich an der Macht halten, ließ er die Zugänge zu Videoportalen wie Youtube und Daily Motion öffnen. Doch das konnte die Jugend, die Facebook zur Waffe gemacht hatte, nicht besänftigen, am nächsten Tag floh Ben Ali nach Saudi-Arabien. Sein langjähriger Premierminister Mohammed Ghannoushi, der auch der umstrittene neue Regierungschef ist, hob am vergangenen Montag die Zensur dann offiziell auf.

Darauf haben sie beim staatlichen Fernsehen nicht gewartet. Bereits am Wochenende hatten die Angestellten selbst einen neuen Namen für den bisherigen Sender TV7 ausgewählt: Staatliches Tunesisches Fernsehen. Das Logo ist nicht mehr in Flieder gehalten, der Lieblingsfarbe des Ex-Präsidenten, sondern in den Nationalfarben rot und weiß. Die Nachrichten, bis vor kurzem noch Propagandashow für den Präsidenten, zeigen die anhaltenden Demonstrationen in allen Landesteilen. Die Menschen dürfen ihre Wut gegen die Übergangsregierung in die Kameras schreien. Ein anderer Beitrag zeigt minutenlang wertvollen Schmuck und dicke Geldbündel in Dollar und Euro, von der Polizei auf einem großen Tisch ausgebreitet, die bei Mitgliedern der Präsidentenfamilie bei ihrer Verhaftung gefunden wurden. In mancher Diskussionsrunde wirken die Fernsehmoderatoren von der neuen Freiheit dann aber doch überfordert. Staunend lauschen sie ihren Studiogästen, ohne jemals nachzufragen oder das Gespräch zu lenken.

„Teilweise ist die personelle Kontinuität im Fernsehen unerträglich“, findet die Journalistin Faiza Majeri, die Kultursendungen im internationalen Programm von Radio Tunis moderiert, die der Zensur weniger unterlagen. „Die lächelnde Nachrichtensprecherin, die vorher Ben Ali in den Himmel lobte und jetzt die Forderungen von Demonstranten verliest, das ist völlig unglaubwürdig“, findet die energische Frau, die bei den ersten kleinen Demonstrationen in Tunis dabei war. Schlimmer aber noch findet sie, dass Kollegen wie Walid Klili, der für Propagandaporträts der „königlichen Familie“ im Fernsehen verantwortlich ist, unbehelligt weiterarbeiten kann. In einigen Fällen nehmen tunesische Journalisten die Dinge selbst in die Hand. „Beim staatlichen Radio hat eine Redaktion ihre verhasste Chefin, die regimetreu war, einfach nicht mehr in ihr Büro gelassen“, erzählt Faiza Majeri. Am Sonnabend dann wurde der Neuanfang auch in den staatlichen Medien offiziell zelebriert: Die Regierung wechselte die Intendanten des staatlichen Fernsehens und Rundfunks ebenso wie die Chefredakteure staatlicher Zeitungen aus.

Einen Quantensprung in der Informationspolitik hat das jüngste Kabinettsmitglied verursacht, der Blogger Slim Amamou, der noch im Dezember im Gefängnis saß und nun Staatssekretär für Jugend und Sport ist. Aus der ersten Sitzung des Kabinetts am Donnerstag twitterte er im Minutentakt an seine Follower (Anhänger), was gerade gesagt wurde: „2.20 Uhr – Der Verteidigungsminister versichert, die Grenzen seien gut gesichert. 2.38 Uhr – Der Justizminister: Der ermittelnde Staatsanwalt im Fall Seriati (Chef der schießwütigen Präsidentengarde) arbeitet zu langsam, ich habe ihn ausgetauscht. 3.10 Uhr – Wenn ich den Wirtschaftsminister richtig verstanden habe, haben wir bisher drei Prozent unseres Bruttosozialprodukts mit eurem Unsinn verloren.“ Das scheint mächtig Ärger gegeben zu haben, denn seither äußert sich der 33-Jährige nicht mehr in den Medien.

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