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Scientology-Film: Nicht ohne meine Tochter

Ein lange umstrittener Spielfilm über Scientology kommt endlich zur Ausstrahlung

Es fängt ganz harmlos an. Frank und Gine, ein junges Paar im Hamburg der 80er Jahre. Sein Architekturstudium kommt nicht recht in die Gänge, Frank kümmert sich liebevoll um Tochter Sarah, Gine arbeitet als Buchhändlerin. Ihre Eltern tun sich etwas schwer mit dem ewigen Studenten als Schwiegersohn, aber das gibt sich schon. Als Frank bei seinen reichen Schwiegereltern den smarten Anwalt Gerd Ruppert trifft, wird jedoch alles anders. Ruppert verschafft ihm erste Aufträge als Architekt, mehr Selbstbewusstsein – und Zugang zu Scientology. Ein Schritt mit tragischen Folgen.

„Bis nichts mehr bleibt“, selten hat es um einen deutschen Film vorab mehr Geheimniskrämerei und Aufregung gegeben als bei dieser ersten fiktionalen Produktion über Scientology in Deutschland, die die Organisation auch beim Namen nennt, so die Eigenwerbung der ARD. Eine erfundene Handlung, die von realen Ereignissen inspiriert wurde, unter anderem von der Geschichte des Ex-Scientologen Heiner von Rönn, der vor über 15 Jahren aus der Organisation ausstieg und dabei laut eigener Aussage Kinder und Frau an Scientology verlor. Um die Produktion der Berliner Firma Teamworx (zusammen mit SWR, ARD Degeto und NDR) im vergangenen Jahr wurde der Mantel des Schweigens gehüllt, um Scientology nicht auf den Plan zu rufen. Drehorte wurden als „Tatort“-Set getarnt, Ansichts-DVDs gar nicht erst versendet. Es gab ein paar Aufführungen für ausgewählte Journalisten unter starken Sicherheitsvorkehrungen.

Robert Atzorn, Suzanne von Borsody, Sabine Postel, Kai Wiesinger, Nina Kunzendorf, allen voran Felix Klare und Silke Bodenbender als junges Scientology-Paar – alleine schon die erstklassige Besetzung macht den Film sehenswert. Für Hollywood kämen sie damit momentan wohl nicht infrage, ließen sich Atzorn und Kunzendorf vernehmen und deuteten damit nochmals an, welches brisanten Themas sich die ARD da angenommen hat. Wenn man die Biografie des US-Schauspielers Tom Cruise lese, werde klar, dass Scientologen überall, auch in Deutschland, schon in führenden Positionen säßen. Die überlange Dankesrede des Hollywood-Stars samt Ehrenbezeugungen bei der Bambi-Verleihung 2007 war es denn auch, die den SWR-Fernsehfilmchef Carl Bergengruen bei diesem Projekt vorantrieb. Man habe, sagte Bergengruen bei der Filmpremiere in Berlin, zum heiklen Thema Scientology bewusst einen Spielfilm gemacht, weil man damit mehr Menschen erreichen könne als mit einer Dokumentation. Die Botschaft ist klar: Die Scientology-Organisation, die sich selbst als Kirche bezeichnet, wird ungeschönt dargestellt als manipulierende, ausbeuterische Psychosekte, die Familien zerstört. Gezeigt werden soll, mit welch raffinierten Methoden es Scientology immer wieder gelingt, Menschen von sich abhängig zu machen.

Sicher, man kann diesem Film, der im Kern von einem absurd anmutenden Sorgerechtsstreit zwischen Frank (Ex-Scientologe) und Gine (Scientologin) um die Tochter im Gerichtssaal zusammengehalten wird, dramaturgisch manches vorwerfen. Zu spät die Einsicht des Familienvaters, auf wen oder was er sich da eingelassen hat, zu schwach seine Widerstände, als ihm Frau und Tochter an Scientology verloren zu gehen drohen. Während Frank der Organisation schrittweise den Rücken kehrt, mutiert seine Frau zur eisenharten Verfechterin der „kirchlichen“ Lehre und zieht die gemeinsame Tochter auf ihre Seite, den guten, smarten Anwalt von der Scientology immer dabei. Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein hatte eine umfangreiche Recherche zu betreiben und viele Rücksichten zu nehmen. Der Stoff galt schon aus rechtlichen Gründen bislang als unverfilmbar, weil stets damit zu rechnen war, dass Scientologen die Ausstrahlung kurzfristig gerichtlich untersagen lassen würden.

Die ARD sieht sich für eine juristische Auseinandersetzung bestens gewappnet. Die fachliche Beratung zu dem Film hatte die Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde, Ursula Caberta. Bis in die letzten Tage blieb es spannend, wie Scientology auf den Spielfilm reagieren würde. Scientology war schon häufiger juristisch gegen Kritiker vorgegangen und bekam zuweilen recht. Die Organisation bezeichnete Caberta als „Hasspredigerin“ und warf der ARD Intoleranz und Diskriminierung einer Religionsgemeinschaft vor. In der vergangenen Woche berief Scientology eine Pressekonferenz in Hamburg ein und drehte eine Doku für das Internet, in der die Aussage des Films mit Hinweisen auf Detailfehler torpediert werden sollte. Des Weiteren wurde eine Schadensersatzklage gegen die Stadt Hamburg angekündigt, weil Caberta die Produktion mit falschen Tatsachen unterfüttert habe.

Selbst wenn nur die Hälfte des im Film Gezeigten der Realität entsprechen sollte, sicher ist: Die 90 Minuten werden keinen Zuschauer kaltlassen. Und wem das Ganze noch nicht brisant oder eindeutig genug ist, der kann sich hinterher bei „Hart aber fair“ mit Argumenten zum Thema Scientology füttern lassen.

Am Dienstag konnte die Organisation einen Teilerfolg verbuchen: Gegen die Dokumentation „Die Seelenfänger. Wie Scientology Menschenleben zerstört“, die am Mittwoch um 23 Uhr im SWR läuft, erwirkte sie eine einstweilige Verfügung, weil darin der volle Name eines verstorbenen Mitglieds genannt wird. Die Doku wird leicht geändert ausgestrahlt.

„Bis nichts mehr bleibt“,

ARD, 20 Uhr 15

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