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Welt im dauerhaften Kriegszustand. Zu allem Überfluss droht Serienhelden wie Daenerys (Emilia Clarke) oder Khal Moro (Joseph Naufahu) ein jahrelanger, harter Winter.

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Serien-Phänomen "Game of Thrones": Die perfekte Metapher für unser Leben

Zwischen Profitstreben und Urvertrauen: Wie die Erfolgsserie „Game of Thrones“ unsere Realität spiegelt.

Die in Todesqualen schreiende 13-jährige Sharin Baratheon wird vor den Augen ihrer Mutter verbrannt. Eine alte Frau, die Sansa Stark zur Flucht verhelfen will, wird lebendig gehäutet. Ramsay Bolton wird von Hunden das Gesicht abgerissen. Wer die Gewaltdarstellungen der US-amerikanischen Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“ ertragen will, darf sich Mitgefühlsduseleien nicht erlauben. Viele der dargestellten Grausamkeiten sind zwar historisch verbürgt, doch man muss in der Geschichte nicht weit zurückgehen, um der Barbarei zu begegnen. Beinahe täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer, Terrorangriffe und medial inszenierte Hinrichtungen des Islamischen Staats sind längst zum Alltag geworden. Reicht uns die Realität nicht? Vielleicht hilft uns das fiktive Grauen ja dabei, das reale zu ertragen.

Stephen King weiß, wie Horror funktioniert. In seinem Sachbuch „Danse Macabre“ erklärt er, dass seine Geschichten deswegen gut funktionieren, weil sie die tief im Inneren der Menschen versteckten Ängste sichtbar machen. Man könnte sagen: Die Anhänger des Genres wollen die Brüchigkeit ihrer Welt vor Augen geführt bekommen. Schon Aristoteles ging davon aus, dass Nachvollzug emotionaler Erregungszustände eine Art innerlicher Reinigung darstellen könnte.

Als Prisma der menschlichen Ängste können kulturelle Erzeugnisse Rückschlüsse auf gesellschaftlich-unbewusste Tendenzen zulassen. So entwickelte sich das Schreckensbild der Außerirdischen ab den 50er Jahren parallel zu den ersten Erfolgen der Raumfahrt. „Game of Thrones“ ist zwar kein klassischer Vertreter des Horrorgenres, aber doch verstörend brutal – und damit die erfolgreichste Serie aller Zeiten, mit über zehn Millionen Zuschauern jede Woche, weltweit.

Wissenschaftler der Cass Business School in London führten Interviews mit Fans der Serie aus 14 Ländern, um ein detailliertes Bild davon zu bekommen, was die Menschen an „Game of Thrones“ fasziniert. Tom van Laer, Dozent des Instituts, verweist auf Parallelen in der Gegenwart: „Paraphrasiert man es, ist ,Game of Thrones’ die perfekte Metapher dafür, wo wir als Gesellschaft stehen. Unsere Zeit ist eine herausfordernde Zeit. Der Winter kann kommen.“ Die Welt von „Game of Thrones“ ist eine Welt im dauerhaften Kriegszustand mit katastrophalen gesellschaftlichen Verhältnissen und Unmenschlichkeit auf allen Seiten. Zu allem Überfluss droht die Invasion einer Armee von Untoten und ein jahrelanger, harter Winter.

Populisten und Nationalisten sind auf dem Vormarsch

Auch die reale Welt gleicht einem Pulverfass. Gerade erst haben US-Forscher die Zeiger der symbolischen Weltuntergangsuhr auf zweieinhalb Minuten vor zwölf vorgestellt. Zuletzt war dies 1953, zu Beginn des Kalten Krieges, der Fall. Laut dem Kreditversicherer Coface hat sich das Terrorismusrisiko in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, die Zahl der bewaffneten Konflikte verdoppelt. Populisten und Nationalisten sind auf dem Vormarsch. Nicht erst seit der Wahl Trumps stimmte man in Feuilletons den Abgesang auf die bestehende Gesellschaftsordnung der westlichen Welt an. Über allem droht der lange Sommer: Das Damoklesschwert des Klimawandels.

Das Leben des "normalen" Menschen im Rhythmus von Arbeit, Freizeit, Urlaub, monatlichen Überweisungen, Krankenversicherung und Rente ist so ganz ohne Unsicherheit und Schlechtigkeit. So scheint diese Serie genau das zu ersetzen, was in diesem Alltag fehlt.

schreibt NutzerIn hoetzendorfer

„Game of Thrones“ zeigt ein verselbstständigtes Spiel der Macht, in dem das einzelne Subjekt nicht mehr wert ist als ein Bauernopfer im Schachspiel. Knirschend, ächzend, mit gnadenloser Gewalt zermalmt das Getriebe der Handlung seine Protagonisten. Von Glück sprechen kann nur, wer als gebrochener, verstümmelter Charakter überlebt wie Theon Greyjoy.

Gefoltert, kastriert und geistig gebrochen ist er nur noch ein tierhaftes Wesen. Auch die Mächtigsten sind psychisch deformiert, reine Charaktermasken, deren Verhalten und Denken durch das ihnen vorgegebene System determiniert sind. Ob aus Gründen des Machterhalts, der Ehre oder der Familie. Die herrschenden Zustände haben sich so tief in die Menschen eingeprägt, dass sie kaum mehr fähig sind, jene zu verändern.

Das trifft nicht nur auf den Tyrannenkönig Joffrey Baratheon und seine Mutter Cersei Lannister zu. Auch Sympathieträger wie der gerechte Anführer Jon Snow köpfen Befehlsverweigerer aus Tradition und die aufgeklärte Sklavenbefreierin Daenerys Targaryen plant den Massenmord zur Machterlangung. Ehre und Familie sind in der modernen Gesellschaft zwar kein Maßstab mehr. Dafür intensivieren sich Profitstreben und der Kampf um das wirtschaftliche Überleben. Ein entfesselter Kapitalismus führt weltweit zu Verwerfungen und Krisen.

Die Unvorhersehbarkeit von „Game of Thrones“

Die gesellschaftlichen Verhältnisse stehen dem Einzelnen, auch Politikern und Bankern, übermächtig gegenüber und schränken die individuelle Handlungsmöglichkeit ein. Standortlogik, Wachstumserwartungen und Leistungsparadigma rechtfertigen weitgehende Konzessionen. Viele Menschen fühlen sich als überflüssiges Anhängsel, ohnmächtig und abgehängt.

Die Unvorhersehbarkeit von „Game of Thrones“ mit ihren dramatischen Wendungen gilt als wesentlicher Erfolgsfaktor. Es ist ein offenes Geheimnis der Serie, dass die Hauptdarsteller nie vorm Serientod gefeit sind. Was mit der Enthauptung des Wächters des Nordens, Ned Stark, beginnt, findet bei der Roten Hochzeit einen vorläufigen Höhepunkt: Während sich Robb Stark und seine Mutter auf einer Vermählung in Sicherheit wähnen, werden sie hinterrücks feige ermordet. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Spätestens jetzt weiß der Zuschauer, dass er jegliches Urvertrauen aufgeben muss. Misstrauen und Betrug lauern hinter jeder Burgzinne. „Wo immer du bist, wo immer du hingehst, irgendjemand will dich umbringen“, sagt der kleinwüchsige Tyrion Lannister.

Auch im realen Leben erodiert das Sicherheitsgefühl der Menschen. Die Zahl der beantragten kleinen Waffenscheine in Deutschland ist explodiert. Das gesellschaftliche Misstrauen spiegelt sich in Umfragen im geringen Vertrauen gegenüber Institutionen wie Bundestag, Wirtschaft und Presse wider. Das bürgerliche Glücksversprechen von Wohlstand und Teilhabe hat sich nur für eine Minderheit eingelöst. Der gesellschaftliche Zusammenhang zerbröselt vielerorts wie die klaren Machtverhältnisse in Westeros.

Dem Fantasy-Genre wird seit jeher der Hang zum Eskapismus nachgesagt. Der Flucht vor der schlechten Realität erteilt „Game of Thrones“ eine Absage. Ein Happy End liegt in weiter Ferne. Bis dahin werden viele Darsteller den Serientod finden. Nur George R.R. Martin weiß, wer am Ende seiner Geschichte lacht. Die Menschheit hingegen hat ihre Geschichte selbst in der Hand. Es wird höchste Zeit, dass sie sich dessen bewusst wird.

„Game of Thrones“, Staffel Sieben, Folge Fünf, Montag, Sky Atlantic HD

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