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Was machen die Royals? Die Hefte mit den grauen oder blauen Schutzumschlägen hatte wohl fast jeder schon mal in der Hand. Die Lesezirkel lagen bereits in Arztpraxen aus, als man selbst noch Kinderarzt-Patientin war.

© picture alliance / dpa

Share Economy: Zirkel-Training des Lesens

Print-Titel in der Krise? Gleichzeitig stapeln sich in Cafés, bei Ärzten und Friseuren Zeitungen & Magazine.

Das Wiener Kaffeehaus ist ein Sehnsuchtsort der Deutschen, meint der österreichische Fotograf Sepp Dreissinger, der im vergangenen Jahr einen Bildband über die Kaffeehauskultur veröffentlicht hat. „Die kennen wahrscheinlich das gemütliche Sitzen mit einer Zeitung und einem Glas Wasser nicht so.“ In einem Haus wie dem Wiener Café Sperl legen sie den Stammgästen bis heute ihre Lieblingszeitungen gleich mit dem Reservierungskärtchen auf den Tisch. Die Zeitungen seien bei ihnen noch immer sehr gefragt, sagt Inhaberin Monika Staub. Und wie ist das bei uns? Werden die gedruckten Zeitungen, die etwa in den Cafés in Berlin ausliegen, noch viel gelesen? Oder hängen die Gäste meistens doch am Handy- oder Laptop-Bildschirm?

Paula Gouveia, die Geschäftsführerin der Bekarei, einem Café in Prenzlauer Berg, sagt, ihre Kunden nähmen die Zeitungen stark in Anspruch. Auf der Fensterbank liegen vier verschiedene Tageszeitungen, an einem Garderobenständer hängt „Die Zeit“ in einer hölzernen Klemme, in der Ecke stapeln sich deutsche und internationale Magazine in einem Zeitschriftenständer. Eine Menge Lesestoff für ein Café, das drinnen gerade mal Platz für zehn Tische hat. Inzwischen ist das Team dazu übergegangen, die Zeitungen zu tackern, weil sie sonst nach kurzer Zeit überall verstreut herumfliegen. „Und wenn wir mal eine im Briefkasten vergessen, fragen uns die Gäste auch danach“, erzählt Gouveia.

Mieten statt Kaufen

Die Magazine bezieht sie größtenteils über den Lesezirkel. Sie mietet die Zeitschriften, anstatt sie zu kaufen. Das spart Kosten. Die Hefte mit den grauen oder blauen Schutzumschlägen hatte wohl fast jeder schon mal in der Hand. Die lagen schon in Praxen aus, als man selbst noch Kinderarzt-Patientin war. Heute wundert man sich mitunter, wie gut der Freundeskreis über den Stand der Beziehungen am englischen Königshof informiert ist. Einerseits natürlich über Facebook, Instagram und anderen soziale Netzwerke. Andererseits stammen die Kenntnisse häufig nach wie vor vom letzten Arzt- oder Friseurbesuch.

Das Geschäftsmodell der Lesezirkel ist die Mehrfachvermietung von Zeitschriften. Die Unternehmen beziehen die Magazine direkt von den Verlagen und versehen sie mit einem Schutzumschlag, auf den sie zusätzlich Werbung drucken. Abonnenten können entweder aktuelle Zeitschriften bestellen oder sich für die Ausgaben der Vorwoche entscheiden, die günstiger sind. Aber auch die aktuellen Hefte sind deutlich billiger als am Kiosk. Dafür liegt die Mindestabnahme bei fünf verschiedenen Titeln. Nach einer Woche werden die Zeitschriften wieder abgeholt und gegebenenfalls an einen Nachmieter ausgeliefert.

Der Lesezirkel-Verband, der rund 80 Prozent aller Lesezirkel-Unternehmen in Deutschland vertritt und sich vor mehr als 100 Jahren gegründet hat, hat ermittelt, dass die Auslage seiner Hefte an öffentlichen Orten wie Cafés, Praxen oder Friseurbetrieben in den letzten Jahren „relativ konstant“ geblieben sei. Allerdings sei die Zahl der privaten Abnehmer rückläufig. In ländlichen Gebieten gehe die Nachfrage ebenfalls zurück. Der Verband erklärt das mit einer schrumpfenden Zahl potenzieller Kunden, weil dort viele Arztpraxen zumachten.

In Berlin hat sich 2009 das Unternehmen „Lesebox“ mit dem Anspruch gegründet, das Lesezirkel-Prinzip zu entstauben. Geschäftsführer Walter Holl hat dem Sortiment mehr Independent-Magazine hinzugefügt und die klassischen Lesezirkel-Umschläge durch eine transparente Folie ersetzt, die den Blick auf das Cover freigibt. Seine Kollegen seien trotzdem skeptisch gewesen, erzählt er. Zehn Jahre später gibt es die Lesebox immer noch. Nach Auskunft von Holl wächst das Unternehmen. Benutzen statt besitzen, das Prinzip der Shareconomy greift offenbar auch hier.

Digitale Lesezirkel

Das 2014 gegründete Start-up sharemagazines hat die Idee des Lesezirkels digitalisiert. Wer ein Abo abschließt, kann seinen Kunden Zugang zu über 450 deutschen und internationalen Zeitschriften und Tageszeitungen bieten, die per Handy-App aufgerufen werden können. Geschäftsführer Jan van Ahrens sagt, dass die meisten Abonnenten eine digitale Lösung favorisierten. Zum jetzigen Zeitpunkt sind es deutschlandweit über 1500 Locations und international kommen weitere 500 dazu, sodass es insgesamt 2000 sind. In Berlin gehören die ZLB, die Charité und einige Hotels dazu. Ein Café ist (noch) nicht dabei. Franziska Strotmeyer, Inhaberin des Berliner Cafés Suicide Sue, findet, dahinter stecke ein „gelerntes Bild“: Kaffee plus Zeitung, das verbinde man mit Gemütlichkeit. Mittlerweile spiele auch der Wunsch nach einer Auszeit vom Handy eine Rolle: „Man schafft es ja kaum noch, irgendwo zu sitzen und nicht das Smartphone zur Hand zu nehmen.“ Für ihr Café abonniert sie vier verschiedene Tageszeitungen, zusätzlich bezieht sie einige Magazine über die Lesebox. Ein Gast sagt, im Café die gedruckte Zeitung zu lesen, das habe für sie etwas Feierliches. Es helfe ihr, runterzukommen. Wenn sie auf dem Bildschirm lese, gelinge ihr das nicht, weil sie den ganzen Tag bei der Arbeit in den Computer schaue. Sich in eine Zeitung auf Papier zu vertiefen, das sei für sie eine Auszeit vom Alltag und seinen Pflichten.

Fast wie im Wiener Kaffeehaus, über das der Schriftsteller Robert Menasse mal gesagt hat, dort müsse eine Atmosphäre herrschen, als hätte man in den nächsten sieben Wochen keinen Termin.

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