zum Hauptinhalt
Es war einmal... „Spiegel“-Autor René Pfister (links) bekommt von „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede den Nannen-Preis für die beste Reportage überreicht. Foto: dpa

© dpa

So nicht!: Vage Kriterien

„Hausmitteilung“: Nach der Aberkennung des Nannen-Preises arbeitet sich der „Spiegel“ intensiv an der Jury ab.

Die Reaktion war angekündigt, sie findet sich auf Seite 3 des aktuellen „Spiegel“. Dort, in der traditionellen „Hausmitteilung“, fixiert die Redaktion die Aberkennung des Henri-Nannen-Preis für den Kollegen René Pfister. Die Eingangszeilen sind mit einiger Subtilität formuliert. „Der Henri-Nannen-Preis war der wichtigste deutsche Journalisten-Preis, die Spiegel-Redaktion sammelte mehr Trophäen ein als alle Konkurrenten – beides galt jahrelang.“ Es ist der Imperfekt, dieses „war“, diese Vergangenheits-Verschluss-Form, die bemerkenswert ist. Der Nannen-Preis war der wichtigste deutsche Journalisten-Preis – er ist es nicht mehr, er kann es nicht mehr sein, das wird insinuiert. Für die „Spiegel“-Mannschaft ist die Preis-Revision ein Affront gegen jenen Nannen-Preis, der ein „Spiegel“-Preis war.

Pfister hatte bei der Verleihung zugestanden, er sei nicht selbst im Keller von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer gewesen. Dort steht eine Modelleisenbahn, in Pfisters mehr politischem Porträt als Reportage ein Sinnbild für Seehofers Politikverständnis. Bei der Aberkennung der Auszeichnung für den Autor des Textes „Am Stellpult“ tadelte die Jury, dass die einleitenden Absätze „entgegen dem Eindruck der Leser und aller Juroren nicht auf der eigenen Wahrnehmung“ beruhten. „Ein Skandal?“, fragt der „Spiegel“ sich (und seine Leser) und zitiert in enger Solidarität den Kollegen Pfister: „Die Jury hat sich entschieden, den Preis in eine Strafe zu verwandeln.“

Chefredakteur Georg Mascolo kritisiert via „Hausmitteilung“, dass die Jury Pfister „ nicht einmal angehört“ habe. Jahrelang habe die Nannen-Jury „auch Texte ausgezeichnet, die mit Szenen beginnen, welche von den Autoren sorgfältig recherchiert, aber nicht selbst erlebt waren“. Die Chefredaktion halte die Entscheidung der Jurymehrheit gegen René Pfister für maßlos und falsch. „Vor der Preisvergabe wäre es legitim gewesen, den Text zu kritisieren oder die Quellenbenennung unscharf zu finden“, nach der Entscheidung habe die Jury jedoch eine Verantwortung für ihre Preisträger, weil eine Aberkennung einer Rufschädigung nahekomme. „Voraussetzung für eine Aberkennung“, steht in der „Hausmitteilung“, „müssen schon erfundene oder gefälschte Textstellen sein. Nichts dergleichen wird Pfister vorgeworfen, seine Geschichte stimmt, die Kriterien der Jury sind vage.“

Was folgt, sind Stimmen, darunter jene von Horst Seehofer, die die Revision mal mit Fragezeichen versehen, mal unmissverständlich ihr Missfallen äußern. Was die Mehrheit der Jury, die mit sieben zu vier für die Revision votiert hat, so im Einzelnen bewegt hat oder bewegt, das bleibt im Dunkel dieser Geschichte, jedenfalls wird nichts davon dokumentiert.

Die „Hausmitteilung“ ist kein Friedensvertrag, sie spricht dem Henri-Nannen-Preis Relevanz und der Jury Kompetenz ab. Und er öffnet eine Leerstelle, denn nichts erscheint jetzt unsicherer als die Tatsache, ob sich „Spiegel“-Chefredakteure wieder an einer Nannen-Jury beteiligen, „Spiegel“-Autoren für den „Henri 2012“ Texte einreichen werden.

Aus der gesamten „Hausmitteilung“ vom 16. Mai 2011 spricht viel verletzter Stolz, einerseits. Wie ein Wasserzeichen schimmert der Hochmut durch, der „Spiegel“, seine Chefredaktion und seine Redaktion, allein dieses Trio kongenial habe darüber zu entscheiden, wann ein Preis würdig sei und wann nicht. Der Nannen-Preis muss sich sehr anstrengen, wenn er sich des „Spiegel“ wieder würdig erweisen will. Andersherum geht nicht.

Zur Startseite