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© NDR

Song Contest: Kesse Kasper

Die Zwei-Sender-Castingshow „Unser Star für Oslo“ geht ins Finale – ohne Drama und Krawall

Für einen Moment herrscht in jeder Show von „Unser Star für Oslo“ (USFO) verkehrte Welt: Immer dann, wenn die Moderatoren verkünden sollen, welcher Kandidat als nächster fliegt. Da stakst eine junge Frau auf die Bühne, in sehr hohen Schuhen und sehr kurzem Kleid, um die Umschläge mit dem Zuschauervoting zu überreichen. Ein Auftritt, der besser zu „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) passen würde. Hier erscheint nämlich Dr. Fleischhauer, und der ist Notar, auch in Echt. Während RTL bei „DSDS“ also einen einzigen seriösen Moment inszeniert, ist „USFO“ derart seriös, dass ruhig mal eine spärlich bekleidete Assistentin durchs Bild laufen darf – hier glaubt man auch ohne Notar, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Schließlich haben sich die öffentlich-rechtliche ARD und Privatsender ProSieben erstmals zusammengetan, um eine „nationale Aufgabe“ zu bewältigen: den deutschen Kandidaten für den Eurovision Song Contest zu finden.

Am Freitag wird im Finale in der ARD entschieden, wer am 29. Mai in Oslo beim Song Contest antreten wird. Die 18-jährige Abiturientin Lena Meyer- Landrut – oder die gleichaltrige Jennifer Braun. Als Favoritin gilt Lena, die unkonventionell ist und kess, großartig singt und seit ihrem ersten Auftritt Jury, Publikum und Feuilleton entzückt.

Ohnehin ist Entzückung ein chronischer Zustand bei „Unser Star für Oslo“. Man ist begeistert von den mutigen Nummern, beeindruckenden Timbres, großartigen „Ranges“ und „Hooks“ – Vokabular, das dem durchschnittlichen „DSDS“-Zuschauer nicht geläufig sein dürfte. Welchen Status Stefan Raab in der Musikwelt genießt, zeigt die Besetzung der Jury, die mit jeder Sendung wechselte. Sie ist ein Statement: Diese Show wird ernst genommen von der musikalischen Elite. Undenkbar, dass sich etwa Jan Delay, Joy Denalane oder Peter Maffay neben Bohlen in die „DSDS“-Jury setzen würden.

Stefan Raab hat von Anfang an klargemacht, dass „bewusst nicht jeder Kasper“ sich animiert fühlen sollte, zum Casting zu erscheinen. Das hat funktioniert. 4500 Bewerber gab es bei Raab, 35 000 für die aktuelle „DSDS“-Staffel. Raab wollte seine 20 Kandidaten auch nicht nach Körbchengröße oder Krawall-Potenzial aussuchen – sondern nach musikalischer Qualität. Da versteht er keinen Spaß. Auch bei seinen vergangenen ProSieben-Sendungen „Bundesvision Song Contest“ und der „DSDS“-Parodie „SSDSDSSWEMUGABRTLAD“ („Stefan sucht den Superstar, der singen soll, was er möchte und gern auch bei RTL auftreten darf“) ging es ernsthaft zu. Allerdings verkauft er mit seinen Schützlingen deutlich weniger Platten als Bohlen mit seinen „Kaspern“.

„USFO“ inszeniert das Casting mit imposanter Studiokulisse und gigantischer Lichtshow, aber eine gewisse öffentlich-rechtliche Behäbigkeit blitzt trotzdem auf. Etwa beim krampfigen Versuch der ARD, ihre jungen Radiowellen einzubinden. So teilen die Moderatoren den Kandidaten zwischendurch mit, auf welchem Platz sie beim Internetvoting von 1Live oder SWR3 gerade liegen – was ebenso uninteressant wie irrelevant für den Verlauf der Sendung ist. Und dass man Marco Schreyl mal vermissen würde, hätte man auch nicht gedacht. Bei „DSDS“ wälzt er die Minuten vor einer Entscheidung zu gefühlten Wochen aus, um die grandiose Zuschauerquote ein paar Minuten länger zu halten. Bei „USFO“ plaudern Matthias Opdenhövel und die ständig reinquatschende 1Live-Moderatorin Sabine Heinrich das Ergebnis sofort aus. Als Kerstin im Halbfinale gehen muss, sagt Heinrich: „So, jetzt wollen wir mal weitermachen.“ Bei „DSDS“ hätte sich Kerstin erst mal mit den Restkandidaten und deren Großfamilien weinend und eng umschlungen auf dem Studioboden gewälzt.

„USFO“ fehlen Drama und Krawall – genau damit punktet „DSDS“. 6,5 Millionen Zuschauer sahen sich bisher Bohlens Casting durchschnittlich an, 2,3 Millionen Raabs Halbfinale am Dienstag.

Mit dem Finale wird die „nationale Aufgabe“ erfüllt sein. Es wird eine Siegerin geben, die beim Grand Prix ein Lied singen wird, für das man sich nicht zu schämen braucht. Für die ARD hat die Partnerschaft mit ProSieben damit ihren Zweck erfüllt. Der öffentlich-rechtliche Sender hat Renommee zurückgewonnen. Die moderne, wenn auch brave Castingshow mit frischen, jungen Kandidaten hat sich absetzen können von den angestaubten Vorentscheiden der letzten Jahre, bei denen Wiedergänger aus schlagerseeligen Zeiten wie Komponist Ralph Siegel („Ein bisschen Frieden“) ihr Unwesen trieben. Diese Auffrischung ist wichtiger als das Ziel, in Oslo endlich einmal abzusahnen. Will „USFO“ dort etwas reißen, müssten Lena oder Jennifer in Lackledermontur eine neofolkloristische Akrobatenshow mit eingebautem Gesang abziehen. Das wird nicht passieren.

„Unser Star für Oslo: das Finale“, ARD, 20 Uhr 15

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