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Medien: „Sortieren Sie mich in die Mitte“

Stasi-Mitarbeiter und Journalist: Lutz Bertram wartet auf das Jüngste Gericht

Herr Bertram, was machen Sie den ganzen Tag lang? Telefonieren?

Zum einen machen wir hier ein ganz normales Multimediageschäft. Das ist unser Graubrot. Das zweite sind beratende Leistungen. Wir haben häufig eine ganz banale Übersetzerfunktion zwischen Technikern, Journalisten und Marketingmenschen. Das geht hin bis zu Marktbetrachtungen, zur Berechnung von Geschäftsmodellen. Und die dritte Säule ist eine sehr langatmige Produktentwicklung. Wir entwickeln ein Internet gestütztes, personalisiertes, zeitsouveränes Radio. Ich habe Schwierigkeiten, den Stolz auf das, was wir erreicht haben, zu unterdrücken.

Sind Sie noch Journalist?

Wenn Journalismus im Wesentlichen von der Neugierde getragen wird, dann ja. Die Welt, in der ich jetzt herumgehe, ist eine andere, eine viel weiter gefasste. Weil in dieser Welt die Steuerungsmechanismen von morgen drin sind. Im Journalismus ist der politische Stoff heute ja so eingedampft und flachgefahren, dass sich Cherno Jobatey getrost für einen politischen Journalisten halten darf.

Vermissen Sie Ihre Radio-Gemeinde?

Ja und nein, denn die Gemeinde war früher eine anonyme. Zuweilen jedoch wehen mich pastellfarbene Erinnerungen an.

Der ORB hat Sie 1995 entlassen, weil aus Ihrer Stasi-Akte hervorging, dass Sie von 1983 bis ’89 als IM „Romeo“ Informationen über Rock- Gruppen in der DDR geliefert haben. Im Oktober ’95 fingen Sie als Medienberater bei der PDS an. Wie ist es Ihnen ergangen?

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich als Radiojunkie runter war. Von der Show bei der PDS hatte ich einen enormen Gewinn, weil ich natürlich tief in den Parteienkadaver reingucken konnte, in das Gedärm. Die haben dort Diskussionen geführt bei der PDS, das war der helle Wahnsinn. Dass der menschliche Verstand so ausrutschen kann! Nehmen Sie nur mal den aktuellen Fall: Dass Berlins vormaliger Wirtschaftssenator unter selbstkritischem Lamento im Peking-Look abgeht, hat mich zum Beispiel nicht sonderlich überrascht. Larifari, wie der ganze Klub. Die Revolutionspartei hat mich dann nach 15 Monaten rausgeschmissen. Meine Zeit beim Talk-Radio, das war nachgerade der Reanimationsversuch einer Leiche. Die waren tot, ich war tot, das hatte überhaupt keinen Sinn mehr.

Dann muss es ein Damaskus-Erlebnis gegeben haben, weg vom Journalismus.

Nein. Bevor ich den Laden hier gegründet habe, hatte ich schon ein Agenturgeschäft, wo wir als Stangenware Hörfunk-Beiträge erzeugt haben. Habe ich allen ARD-Sendern verkauft. Kirchenthemen, B-Themen, Politik, alles. Die wussten nicht immer, dass ich das war. Da sehen Sie mal, dass Qualität doch noch von höherem Rang ist.

Unter welchem n?

Das sag’ ich Ihnen nicht. Und als wir es dann endlich ins Frühprogramm des Deutschlandfunks geschafft hatten, da hab’ ich dann gesagt: Jetzt weiß ich nicht mehr, ob mir das noch Freude macht. Sie sind irgendwann mal der Witz Ihrer selber. Ich hab dann angefangen, Biografien von Unternehmern zu lesen, zum Beispiel über McDonald’s. Derjenige, der das Ding zum Geschäft gemacht hat, war, als er anfing, Mitte 50. Das hat mir sehr imponiert. Seit zwei Jahren gibt es jetzt die Agentur „Transaudio“.

War es damals richtig, dass man Sie vom Mikrofon suspendiert hat?

Ich weiß es nicht. Vielleicht war es in Ordnung, vielleicht auch nicht. Erst hab’ ich gedacht, ich müsste so was wie das Stuttgarter Schuldbekenntnis ablegen, über die Kollektivschuld, hab’ dann aber später festgestellt, dass der Vorgang komplett für politische Interessenlagen instrumentalisiert wird. Und das zweite ist: Ich hab mich selber total bescheuert angestellt. Aber das ist mein Problem. Ich muss mit der Ungereimtheit leben, dass auf der einen Seite die Stasi ist und auf der anderen Seite die Tatsache, dass ich mit der DDR nie was anfangen konnte. Ich bin nicht der einzige, der so zerrissen war wie seine Welt. Sortieren Sie mich in die Mitte, mit genauso viel Schuld und Unschuld, und bewahren Sie mich fortan vor Gerechten und Gutmenschen.

Gibt es irgendeinen, der gesagt hat: „Du hast mir mein Leben versaut“?

Nicht dass ich wüsste. Übrigens glaube ich, dass es in dieser Republik auch nicht leichter ist, ein Held zu sein. Ich sage Ihnen das als jemand, der fortwährend über Geschäfte und Geschäftsmodelle nachdenkt. Diese Modelle laden häufig dazu ein, ein Schwein zu sein. Das ist ein sanktioniertes Hobby in diesem Staat. Die Gesamtbilanz überlassen wir mal dem Jüngsten Gericht. Kinder, da kriegt ihr alle eine Schuldrechnung aufgemacht, da qualmt die Hacke!

Im Januar dieses Jahres wurde bekannt: Hagen Boßdorf, Chefredakteur des ORB, soll laut Stasi-Akten IM „Florian Werfer“ gewesen sein. Er wurde trotzdem ARD-Sportchef. Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich hab’ herzlich gelacht. Aber meine Schlittenfahrt liegt in meiner Person begründet. Es ist relativ schwer, mich lieb zu haben. Ich bin halt krötig. Der Boßdorf ist ein alter, netter Junge. Wirklich ein guter Kerl. Beim Stand der Dinge kann ich mich inzwischen aber als Kandidat an der Intendantenwahl für den Rundfunk Berlin-Brandenburg beteiligen.

Das Gespräch führte Sebastian Engelbrecht.

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