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© dpa

Sozialdemokratie vor der Kamera: Basta, SPD

Ein schnörkelloser ARD-Film dokumentiert den tiefen Fall der Volkspartei.

Am Freitag in Dresden wird die SPD mit ihrer neuen Führungsmannschaft um den erkrankten Sigmar Gabriel den Neuanfang wagen, nach der größten Wahlkatastrophe, die Deutschlands Sozialdemokraten in ihrer langen Geschichte hinnehmen mussten. Einer Katastrophe, die seit langem absehbar war, das meinen zumindest Stephan Lamby, Klaus Balzer und Karin Rieppel nach ihren wochenlangen Beobachtungen der SPD. Für die Autoren des TV-Films „Der Fall SPD: Überlebenskampf einer Volkspartei“ begann der Niedergang bereits vor elf Jahren, als Gerhard Schröder ins Kanzleramt einzog.

Seit Schröders Wahlsieg von 1998 hat die SPD rund die Hälfte ihrer Wähler verloren, rechnet der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen nach, der wie viele seiner Kollegen den erneuten Einzug ins Parlament verpasst hat. Die Basta-Politik des Brioni-Kanzlers hat nicht nur innerparteiliche Diskussionen unterdrückt, sondern mit dazu geführt, dass von den einst 20 Millionen Wählern nur noch die Hälfte ihr Kreuz bei der SPD machen.

Der Ärger sitzt tief, auch an der Basis, zum Beispiel an der Ruhr, dort, wo die SPD noch tief in den Ortsvereinen verwurzelt ist. „Ja, in Gelsenkirchen, da geht das in Ordnung, mit 32 Prozent plus zwei“, hoffte ein altgedientes SPD-Mitglied noch frohgemut am Tag der Wahl Ende September. Und auch nach der erschütternden Niederlage glaubte er noch felsenfest: „An uns wird’s nicht gelegen haben.“

Der ARD-Film dokumentiert die anhaltende Fassungslosigkeit der Genossen, in den Gesichtern der Wahlkämpfer in Berlin und anderswo. Henning Scherf, der Ex-Bürgermeister von Bremen, hat die Wahlniederlage der SPD „wie eine Art Götterdämmerung“ erlebt. Später wird er noch sagen, dass der 27. September 2009 die Abrechnung mit der Schröder’schen Politik gewesen ist. „Ein großer Schlag in den Nacken“ war es für Monika Griefahn, die im neuen Bundestag ebenfalls nicht mehr vertreten ist. Und SPD-Urgestein Egon Bahr fügt hinzu, dass er am Wahltag einen „richtigen harten Schmerz“ empfunden hat. „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, das alte Kampflied will nicht mehr zu der Partei von Willy Brandt passen.

Vor allem aber zeigt der Film die Stationen des Niedergangs auf, quasi als Zeitachse auf dem Weg in die Katastrophe. Darauf abzulesen: der Bruch zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröders SPD der neuen Mitte, der zu den Schicksalstagen einer ganzen Partei wurde. Der Exodus der Linken. Die Entsozialdemokratisierung der SPD mit der Agenda 2010 und die Basta-Politik Schröders. Der Aufstieg der Linkspartei und der Glaubwürdigkeits-Gau um Andrea Ypsilanti. Und natürlich der Königsmord an Kurt Beck am Schwielowsee. „Das war schäbig, das haben die Leute auch gemerkt und sich gefragt, wie gehen die eigentlich miteinander um?“, sagt Niels Annen. Auf Häme oder selbstgefällige Kommentare des politischen Gegners bei Union und FDP verzichten Lamby und seine Koautoren klugerweise. Auch der abtrünnige Oskar Lafontaine kommt nur im Rückblick zu Wort. Dafür darf Gregor Gysi der SPD den Puls fühlen.

Überhaupt ist den Autoren eine unaufgeregte, nachvollziehbare und vor allem glaubhafte Zustandsbeschreibung der SPD gelungen, was vor allem der Binnensicht der Quellen zu danken ist. Hat die SPD die Chance, sich in der Opposition zu erneuern? Oder führt der Weg weiter bergab in die Bedeutungslosigkeit? Die Fragen werden angerissen, beantworten kann auch dieser Film sie nicht. Der designierte Parteichef hat seine Interviewzusage für den Film fünf Minuten vor dem Termin zurückgezogen. Immerhin: An Gelsenkirchen hat es tatsächlich nicht gelegen. Die Stadt im Ruhrpott ist SPD-Hochburg geblieben. Kurt Sagatz

„Der Fall SPD: Überlebenskampf einer Partei“, ARD, 0 Uhr 35

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