zum Hauptinhalt
Der "Spiegel" hat seine Chefredakteure Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo abberufen.

© dpa

Update

"Spiegel" sucht Chefredakteur: Ein neuer Motor wird gebraucht, kein neuer Lenker

Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin leidet an Führungsstreit und Auflagenschwund, jetzt zieht der Verlag Konsequenzen: Die "Spiegel"-Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron müssen gehen. Namen möglicher Nachfolger kursieren bereits.

Auf die Demontage folgte die Trennung. Der Spiegel-Verlag hat die beiden Chefredakteure, Georg Mascolo, 48, und Mathias Müller von Blumencron, 52, am Dienstag „mit sofortiger Wirkung“ abberufen und beurlaubt. Als Grund wurden in der Mitteilung „unterschiedliche Auffassungen zur strategischen Ausrichtung“ genannt. Über die Nachfolge in der Chefredaktion werde in Kürze entschieden. Bis zur Neubesetzung wird die Redaktion des „Spiegel“ von den beiden stellvertretenden Chefredakteuren, Klaus Brinkbäumer und Martin Doerry, geleitet. Rüdiger Ditz, Chefredakteur von Spiegel Online, verantwortet das Nachrichtenangebot im Internet. Die Mitarbeiter des Hamburger Verlags zeigten sich vor allem von zwei Faktoren überrascht. Zum einen, dass sich die Gesellschafter doch so rasch auf die erwartete Ablösung von Mascolo und Blumencron verständigt haben. Die Gesellschafter sind die Mitarbeiter KG mit 50,5 Prozent, der Verlag Gruner + Jahr mit 25,5 Prozent und die Erben Franziska und Jakob Augstein mit zusammen 24 Prozent. Die zweite Überraschung ist, dass über die Nachfolge „in Kürze“ entschieden werden soll. Im Verlagshaus an der Ericusspitze konzentrierten sich die Spekulationen nicht auf den oder die Favoriten, allerdings wurde mit spürbarer Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die Nachfolge rasch geklärt werden solle. Mit wenig Begeisterung wurde an die Zeit erinnert, als Stefan Aust Anfang 2008 als Chefredakteur schon „gegangen“ worden war, dann aber noch drei Monate weiterarbeitete, ehe 2008 mit großer Mühe die Doppellösung Mascolo/Blumencron gefunden wurde. Wer am Dienstag Namen für die neue Spitze hören wollte, der bekam beispielsweise Jakob Augstein als Kandidaten der Linken, die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel als Favoritin der Frauen und dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner als Mann der Mitte zugerufen. Was alle erwarten, ist eine Führungsstruktur, die die Verkrampfung an der Spitze und die Lähmung des Verlages in eine der Zukunft zugewandten Strategie auflöst.

Die beiden Chefredakteure Mascolo und Blumencron hatten seit 2008 eine Doppelspitze gebildet. Mascolo übernahm 2011 schließlich die Alleinverantwortung für das Print-Magazin, Mathias Müller von Blumencron übernahm allein die Verantwortung für die digitalen Angebote unter der Marke „Spiegel“, einschließlich „Spiegel Online“. Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin leidet seit Jahren an Auflagenschwund. Zu Amtsantritt von Mascolo und Müller von Blumencron hatte die verkaufte Auflage noch bei mehr als einer Million Exemplaren gelegen, zuletzt betrug sie 891 000 Exemplare. Zu Spannungen in der Doppelspitze kam es auch bei der Frage einer schlüssigen Online-Strategie. So ist ein stetiger Streitpunkt zwischen beiden gewesen, ob und welche Inhalte von Spiegel Online kostenpflichtig werden könnten. Das Verhältnis der beiden Chefredakteure entwickelte sich entsprechend, von stark belastet ging es zu gar nicht mehr vorhanden. Mitarbeiter reden von „Blockade“ zwischen den Blöcken. Der Spiegel-Verlag wurde lange von der Überzeugung getragen, dass die gewaltigen Umbrüche, die die Printbranche in Zeiten der Digitalisierung jedweder Information durchschütteln, das Unternehmen sehr viel schwächer erfassen würden. Das war mindestens so ein Irrtum, wie manches Problem hausgemacht ist. Spiegel TV, einstmals eine starke Marke im deutschen Fernsehmarkt mit jährlicher Millionenausschüttung ans Mutterhaus, ist nur mehr ein Fragment. Auch Spiegel Online, nach Bild.de reichweitenstärkstes Nachrichtenportal, ist bei aller journalistischen Kraftentfaltung nicht die „Cash Cow“ geworden. Der Werbeumsatz 2012 lag geschätzt bei 30 Millionen Euro, ob das in die schwarzen Zahlen hineinreicht, wird von manchem Mitarbeiter bezweifelt. Das Wochenmagazin ist unverändert der finanzielle Träger des Systems „Spiegel“. Die Hälfte des Blumencron-Gehaltes kommt aus dem Print, die Online-Kolumne von Matthias Matussek beispielsweise wird komplett über diesen Etat finanziert. Schon 2012 hatte Verlagsgeschäftsführer Ove Saffe seine Mannschaft auf schwerere Zeiten eingestimmt. Ziel des eingeschlagenen Sparkurses sei, bei rückläufigen Umsätzen ein Ergebnis zu erzielen, „das unsere Zukunftsfähigkeit, unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit und somit unsere publizistische Unabhängigkeit sicherstellt“, sagte Saffe dem Fachmagazin „Horizont“. Für 2012 rechnet die Spiegel-Gruppe mit einem Umsatz von knapp 310 Millionen Euro, ein Minus von rund sechs Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Auch die Rendite dürfte zurückgegangen sein, aber mit rund 15 Prozent zweistellig bleiben.

Die Probleme des Spiegel-Verlages lassen sich nur mit einem neuen oder neuen Namen an der Spitze nicht lösen. Strukturell, ganzheitlich sind die Schlagwörter auf den Redaktionsfluren, gebraucht werde kein neuer Lenker, sondern ein neuer Motor. Ein Mitarbeiter bringt das große Problem der Integration der Spiegel-Teile auf einen kleinen Zukunftsnenner: „Wer bringt einen altgedienten Spiegel-Redakteur dazu, alle drei Tage einen Text zu schreiben, der dann auch noch online gestellt wird?“ Es herrscht schon Skepsis darüber, dass mit der Neubesetzung die große Lösung angestrebt wird. Wie auch anders, wenn der Gesellschafter Gruner + Jahr in Selbstbeschäftigung versinkt, wenn die Mitarbeiter KG lieber Macht- als Verantwortungs-, als Strukturfragen diskutiert. Es müsse jemand gefunden und so ausgestattet werden, dass neben der kaufmännischen auch eine publizistische Geschäftsführung installiert werde. Der Springer-Verlag wird da im Großen als vorbildhaft genannt, im Kleinen an die neue redaktionelle Konzeption im „Stern“ erinnert, wo sämtliche Ressortleiter neu bestimmt und erst mal mit Zweijahresverträgen ausgestattet worden seien. Bloß kein Stillstand, bloß keine Kosmetik, bloß kein „Weiter so“, summieren sich die selbstkritischen Stimmen im Spiegel-Verlag. Mathias Müller von Blumencron hielt eine Abschiedsrede vor der Online-Mannschaft, berichtet Meedia.de. Dafür gab es Standing Ovations. SpOn-Chefredakteur Rüdiger Ditz bezeichnete ihn als „Mr. Spiegel Online“. Es werden in Kürze also mehr Personalien bekannt: Wer kommt zum „Spiegel“, wer engagiert Mascolo, wer engagiert Blumencron? Ihm werden hervorragende Jobchancen attestiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false