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Ein Mittelfinger und eine nicht enden wollende Debatte. Über die Echtheit dieser Geste des griechischen Finanzministers wird weiter heiß diskutiert.

© dpa

Stinkefinger-Video bei "Neo Magazin Royale": Alles zu dick aufgetragen und versemmelt

ZDF-Moderator Jan Böhmermann und das "Neo Magazin Royale" haben das manipulierte Video mit dem Stinkefinger von Varoufakis ganz gezeigt. Und man fragt sich, warum niemand diese Imitation sofort entlarvt hat. Das ist überhaupt nicht komisch.

Stinkefinger-Gate I, II oder III? Muss die Geschichte des Stinkefingers in großen Teilen umgeschrieben werden? Deutsche Medien – im Ausnahmezustand. Das Internet brodelt und brennt. Schuld ist Jan Böhmermann.

Hier die Skandal-Chronik. Günther Jauch präsentiert in seiner Talkshow den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Und ein Video. In dem Video reckt Varoufakis seinen Stinkefinger. Man kann es ganz deutlich sehen. Trotzdem barmt der Minister, dies sei alles Fälschung. Die TV-Schande nimmt Fahrt auf. „BILD“ startet durch. Kameramann und Video-Experten erklären, dass die Bilder echt seien. Dann kommt Böhmermann.

Auf YouTube gibt’s ein Video. Es wird erklärt, dass das Stinkefinger-Video doch manipuliert sei. Eine Täuschung der „Neo Magazin Royale“-Redaktion.

Eigentlich ein toller Stoff

Was dann beginnt - Panik im Hühnerhof nach einer Fuchs-Invasion. Die Jauch-Redaktion fordert von der Böhmermann-Redaktion Beweise. Varoufakis fordert auf Twitter Entschuldigung. Namhafte Verschwörungsexperten melden sich zu Wort. Haben es eh schon geahnt, gewusst oder befürchtet. Böhmermann und der Kameramann kannten sich. Die Bilder vom Subversive Festival, auf dem Varoufakis 2013 aufgetreten war, sind erst kürzlich hochgeladen worden. Und, und, und. … Eigentlich sauguter Stoff.

Stoff für die Fernseh-Sensation des Jahres. Stoff aus dem TV-Wunder entstehen. Können? Sollen? Müssen? In der aktuellen „Neo Magazin Royale“-Sendung wird das Manipulations-Video in voller Länge und voller Pracht gezeigt.

Aber wie bei jedem echten Höhepunkt, muss man vorher erst mal arbeiten. Leiden. Geduldig sein. Die Stinkefinger-Herzeig-Orgie von Böhmermann, Sidekick William Cohn und Musiker Dendemann über sich ergehen lassen. Die Witz-Versuche über YouTuber Sami Slimani, die  Sonnenfinsternis, Natascha Kampusch und Hamburgs Olympiabewerbung überstehen.

Schlecht gespielt und überzogen

Aber dann. Endlich. Das Video des Jahres. Der Todesstoß für Jauch und „Bild“? Immerhin ein paar Gags zünden. Jauch als abgebrannter Penner, der um einen Euro bettelt. Kerner als befreite Geisel. Dann gibt’s noch einmal den Minister-Stinkefinger. Dann seine Anklage. Dann noch einmal den Ausschnitt. Und plötzlich. Er ist verschwunden, der Stinkefinger. Der Arm bleibt unten. Verblüffend. Die Erklärung. Das Video, besser die Armbewegung von Varoufakis wurde gefälscht. In tagelanger Studioarbeit. Am Schnittcomputer. Es gibt sogar einen eigenen Darsteller für den manipulierten Ministerarm.

Das Arm-Double und Böhmermann werden interviewt. Spätestens jetzt hätten sich erste Zweifel regen müssen. So spricht keiner in einem falschen, echten oder echten, falschen Interview. Vor allem nicht beim größten TV-Coup des Jahres. Eine gute Parodie funktioniert, wenn alle Formalien und Details so realistisch wie möglich präsentiert werden. Wenn alles so abläuft, wie es in der Wirklichkeit auch ablaufen würde.

Dieser erfundene Beitrag, er leidet an Overacting. Alles zu dick und zu offensichtlich aufgetragen. Und eher schlecht gespielt. Wegen ein paar Scherzen bricht der Beitrag aus seiner Realität raus und verliert sein subversives Potential.

Nach der Vorführung ist es unverständlich, warum Böhmermanns gefakter Fake nicht sofort erkannt wurde. Das ist das eigentlich Nicht-Komische. Medienmacher, so getrieben, dass sie diese erkennbar offensichtliche Imitation eines Brettes vorm Kopf erst zu spät erkennen. Zur allgemeinen Beruhigung verkündet Herr Himmler vom ZDF lange vor der Sendung, all dies sei Satire. Schade. Die sicher beste Medien-Skandal-Umdreh-Idee des Jahres. Und dann versemmelt.

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