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Streit um Roma-Reportage: Raubzüge beim Fotografen

Das Schweizer Magazin "Weltwoche" nutzte das Foto einer Reportage über das Elend der Roma, um angebliche Raubzüge der Roma anzuprangern. Der Zentralrat der Sinti und Roma will nun verhindern, dass das Blatt in Deutschland vertrieben wird.

Als der italienische Fotograf Livio Mancini vor vier Jahren in Kosovo arbeitete, wollte er einen Skandal dokumentieren: „Ich wollte zeigen, dass sogar in Europa Menschen auf Müllhalden leben.“ Mancini fotografierte Roma-Kinder in einem Slum am Rande der Stadt Gjakova, wo sie und ihre Familien nach dem Krieg strandeten. Ihre Hütten stehen auf dem giftigen Grund der Halde. Die Familien leben von dem, was sie auf dem Müllberg finden und was sich noch verwenden und verkaufen lässt. „Die Kinder kennen nur diese Müllhalde, einen Spielplatz voller Gift, der krank macht.“

Mancinis Serie über die Kinder vom Müllplatz illustriert keinesfalls einen tragischen Einzelfall: Die zehn bis zwölf Millionen Sinti und Roma sind nicht nur Europas größte Minderheit, sondern auch die mit den übelsten Lebensbedingungen. Die überwiegende Mehrheit ist arm bis bitterarm, nach wie vor von Pogromen bedroht – 2009 fielen nachweislich elf Roma in Ungarn Hassmorden zum Opfer – und auch die Gutausgebildeten unter ihnen sind praktisch ohne Chance auf reguläre Arbeit. Erst im letzten Jahr verpflichteten sich, wesentlich auf Betreiben Ungarns, alle EU-Staaten auf eigene Programme, gegen das Elend der Roma vorzugehen.

Mancinis Bilder prangerten die Lage an. Doch nun ist ausgerechnet eines dazu genutzt worden, den Spieß umzudrehen und das Opfer zum Täter zu machen. Die Zürcher „Weltwoche“, einst linksliberal, doch seit einem Jahrzehnt unter ihrem Chefredakteur und Eigentümer Roger Köppel für aggressiven Rechtspopulismus berüchtigt, dekorierte damit den Titel ihrer Osterausgabe. Unter dem kleinen Roma im Kindergartenalter, der mit einer Pistole posiert, setzt das Blatt Zeilen wie einen Aufschrei: „Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz. Familienbetriebe des Verbrechens“.

Mancini nennt dies in einer Mail an den Tagesspiegel einen „Missbrauch meines Fotos“. Die Kölner Fotoagentur laif, die Mancinis Fotos in den deutschsprachigen Ländern vertreibt, wird noch deutlicher: Die „Weltwoche“ habe das Bild „sinnentstellend und wahrheitsverändernd“ verwendet und dessen Aussage ins Gegenteil verkehrt, heißt es auf ihrer Website. Dort appelliert laif gleichzeitig an alle Bildredaktionen, dokumentarische Fotografie nicht außerhalb ihres Kontextes einzusetzen. „Wir leben in einer zunehmend visuellen Welt. Dazu brauchen wir eine visuelle Ethik, die dem wirklichen Inhalt der Bilder und der Intention des Bildautors verpflichtet ist!“ Peter Bitzer, der Geschäftsführer von laif, hat nach eigenen Angaben auch einen entsprechenden Brief an die Bildredaktion der „Weltwoche“ geschrieben. Zurzeit seien keine weiteren Schritte geplant. Die „Weltwoche“, sagt Bitzer, sei seit vielen Jahren eine gute Kundin von laif, und der Fall sei der erste dieser Art. „Da redet man erst einmal und packt nicht gleich die juristische Keule aus.“ Die allerdings gibt es: Die Verwendung des Bildes „war ein klarer Verstoß gegen unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen“, sagt Bitzer. Das nehme insgesamt zu, und „das macht mir Sorge“.

Die Redaktion verteidigt die Bildwahl - und bezeichnet die Debatte als "Heuchelei".

Klagen tun derzeit andere. In der Schweiz, Österreich und Deutschland haben einzelne Bürger die „Weltwoche“ angezeigt, weil sie Antirassismus-Gesetze verletzt sahen. In Deutschland beantragte der Zentralrat der Sinti und Roma zudem, dass der Vertrieb des Blatts hierzulande gestoppt wird. Dessen Vorsitzender Romani Rose sieht „rassistische Stereotypen im Stile der nationalsozialistischen Zuschreibungen gegenüber der Minderheit befördert“. Sinti und Roma würden so „öffentlich unter Generalverdacht gestellt“.

Philipp Gut, stellvertretender Chefredakteur der „Weltwoche“ und Mitautor der Roma-Story, sagte dem Tagesspiegel, er weise die Vorwürfe „absolut zurück“. Das Foto symbolisiere „den Missstand, dass Kinder der Roma für kriminelle Zwecke eingesetzt werden“: Die Datenbasis dafür sei da. Im Übrigen werde jedes Foto in den Medien aus dem Ursprungszusammenhang gerissen, wenn es mit einer neuen Geschichte gedruckt werde, „das ist ein völlig alltäglicher Vorgang“. Der Fotograf hätte die Verwendung seines Bildes einschränken können, das habe er aber nicht getan. Insofern sei die aktuelle Empörung „absolute Heuchelei“.  

Livio Mancini kann dem Titel der „Weltwoche“ ohnedies auch etwas abgewinnen. Die Lage der Roma ist nach Ansicht des Fotografen durch die Wut über die Zürcher Zeitungsmacher wieder zurück auf der Agenda: „Nach alledem gibt es in diesen Tagen ein neues Interesse an dem Thema. Und darüber bin ich froh.“

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