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Ein Phänomen: Daniela Katzenberger.

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Studie zu TV-Sternchen: Hohle Idole

Mehr Design als Sein: Das Fernsehen erzeugt die Realität, die es zu dokumentieren vorgibt. Warum wir uns für TV-Typen wie Bohlen, Klum oder Katzenberger dennoch interessieren sollten.

Irgendwo im Fernsehen gibt es immer eine Castingshow. Vermutlich haben diese Formate ihren Zenit überschritten. Aber sie haben prototypische TV-Größen hervorgebracht: Dieter Bohlen als harten Zampano im Sängerwettstreit und Heidi Klum als strenge Aufseherin weiblicher Schönheitskonkurrenz. Seit das Fernsehen zudem als „Reality-TV“ zielgerichtet jene Wirklichkeit schafft, die es dann zu dokumentieren vorgibt, wird es auch von echten Menschen bevölkert, die endlos sich selber spielen. Daniela Katzenberger kann als Prototyp für diesen medialen Aufstieg aus dem Nichts gelten.

Was geht das uns an? Schräge Typen wird es im Unterhaltungsgewerbe immer geben. Stimmt. Aber wie diese Protagonisten des gegenwärtigen Unterhaltungsfernsehens wahrgenommen werden, das sollte zum Nachdenken über deren Agieren und die mediale Inszenierung anregen. Denn die Rezeptionsforschung besagt, dass Dieter Bohlen – der sich laut „Bild“ gerade bei einem Konzert in St. Petersburg über das Aussehen deutscher Mädchen beschwert haben soll – vor allem von Jungen zwar gelegentlich als zu „krass“ mit seinen Sprüchen, vor allem aber als „ehrlich“ wahrgenommen wird. Von ihm könne man lernen, wie mit Freunden umzugehen sei, hat die Medienwissenschaftlerin Maya Götz heraus gefunden.

Mädchen hingegen, die regelmäßig „Germany’s Next Topmodel“ gucken und Posen aus der Sendung oft auch auf dem Schulhof nachspielen, glauben tatsächlich, diese Sendung zeige den Ausbildungsgang zum Beruf Model. Auch wenn den Kandidatinnen Salatsauce über den Kopf gegossen wird oder sie mit einem Python posieren müssen, tut das dieser Überzeugung keinen Abbruch. Daniela Katzenberger hingegen, die bis an die Grenze zur Parodie künstliche Pamela- Anderson-Kopie mit Kurpfälzer Dialekt, wird von ihren Fans – meist sind es Frauen – als besonders „echt“ und „authentisch“ gefeiert. In Busladungen rücken sie auf Mallorca ins Café Katzenberger ein und sind enttäuscht, wenn die Verehrte gar nicht vor Ort ist.

So kurios und verdreht dies auch erscheinen mag, zeigt sich, dass diese Art des Unterhaltungsfernsehens nicht nur raffiniert inszeniert ist, sondern auch viel mit dem alltäglichen Leben zu tun hat. Bei Bohlen geht es zunächst um Musik, also um alles, was Jugendliche nicht in Sprache zu fassen vermögen. Durch Musik bilden sich Stile aus, Identifikationen und Zugehörigkeiten. Im Castingprinzip sehen viele das, als was diese Shows sich selber gerne gerieren: harte Exerzitien für das Leben da draußen. Im Unterhaltungsfernsehen wird so probeweise durchgespielt, worauf es im Leben vermeintlich ankommt. Wie setze ich mich im Wettbewerb durch? Wie mache ich Eindruck? Auf welches Können kommt es an? Bohlens vermeintliche Ehrlichkeit, meist artikuliert in deftigen Sprüchen, ist nur der Endpunkt einer längst zuvor in die Wege geleiteten Inszenierung. Die Reduktion auf Stereotype ist längst optisch und akustisch erfolgt, bevor es zum endgültigen machtvollen Verdikt von Bohlen kommt. Die erlebte Ohnmacht gegenüber den Juroren, deren Autorität und Willkür, wird in Schule, Ausbildung oder Studium aber kaum anders erlebt. Das Prinzip Casting scheint universell zu gelten: von der Suche des neuen WG-Mitbewohners bis zum Vorstellungsgespräch.

Verblüffend ist dabei, wie sehr das heimliche Curriculum dieser Shows akzeptiert wird. Gerade Zuschauern, die eher selten hineinschalten, fällt auf, wie ungeheuer autoritär Bohlen aufzutreten wagt. „Auf die Knie!“, befiehlt der fast 60-jährige Mann einem jungen Mädchen, das um sein Weiterkommen bettelt. Folgsam gehorcht die 16-jährige Katja. Auch die extrem selektierten hübschen Kandidatinnen bei Heidi Klum bewegen sich in ständiger Unsicherheit darüber, ob sie als Nächstes heftig heruntergemacht werden oder als würdig für einen Gnadenerweis erachtet werden. Nirgendwo sonst im deutschen Fernsehen ist so viel von den Persönlichkeiten die Rede, die es zu entfalten gelte und nirgendwo sonst werden diese so sehr auf den ausgestellten Körper reduziert. Typisch dafür ist das so genannte Bodypainting. Diese Art der Nacktheit, die angeblich keine Blößen zeigt, erlaubt ein Spiel mit Tabugrenzen beim Vorzeigen der oft sogar noch minderjährigen weiblichen Körper. König ist bei Klum immer der Kunde. Gegenüber seinem ins Mythische überhöhten Willen gibt es nur eine Handlungsmöglichkeit: die unbedingte Unterwerfung. Wer sich darauf nicht einlassen will, versagt professionell. Zum entscheidenden Kriterium für die Entfaltung der eigenen, inneren Kräfte und Stärken wird in dieser Schule des Gehorsams die marktgängige Verwertbarkeit. Heidi Klum wirkt dabei als allzeit fröhliches, zugleich bodenständiges wie glamouröses Vorbild, das eben dieses zentrale Können, die eigene Selbstvermarktung, glänzend beherrscht.

Wie sich Daniela Katzenberger im Mediengestrüpp behauptet

Die Juroren Dana Schweiger, Dieter Bohlen und Michelle Hunziker kommen bei der Aufzeichnung des Finales der RTL-Castingshow "DSDS Kids" auf die Bühne.
Die Juroren Dana Schweiger, Dieter Bohlen und Michelle Hunziker kommen bei der Aufzeichnung des Finales der RTL-Castingshow "DSDS Kids" auf die Bühne.

© dpa

Noch Schülerin in diesem Metier, auf das es angeblich ankommt, ist Daniela Katzenberger. Sie bezeugt die endgültige Entkoppelung von Ruhm und irgendeiner besonderen Fähigkeit. Das Fernsehen stellt sie einfach in irgendeine fremde oder überfordernde Situation und dokumentiert das dann. Das allein wäre langweilig. Fahrt gewinnen die Katzenberger-Formate allein deswegen, weil es jeweils eine zweite Ebene gibt, auf der die Protagonistin ihr Tun kommentiert. Oft fühlt die nämlich ganz anders als der mediale Schein vorgibt. Mit ihr lernt der Zuschauer, dass Medien manipulieren. Selbst aus ihrer Quiekstimme können Toningenieure einen Hit basteln. Die „Bunte“ könnte, das argwöhnt sie beim Besuch in der Redaktion, unvorteilhafte Fotos auswählen, wenn sie jemandem schaden wollte – tapfer aber versucht sich Daniela Katzenberger in diesem Mediengestrüpp zu behaupten. Direkt in die Kamera hinein erzählt sie, was sie gerade denkt und fühlt. Der Zuschauer wird zum einzigen Vertrauten. Darum kommt diese Kunstfigur vielen als besonders „echt“ vor. In künstlich geschaffenen Situationen meistert sie Überforderungen, stellvertretend für viele, die sich im Alltag ähnlich fühlen. Die parasozialen Beziehungen, die zu den TV-Stars aufgebaut werden, dienen als Hilfe und Orientierung. Natürlich ist niemand der schwarzen Pädagogik von Bohlen und Klum hilflos ausgeliefert. Man kann sie kritisieren, ironisieren, parodieren. Fernsehen funktioniert nicht wie ein Nürnberger Trichter. Aber auch das „Ablästern“ über einzelne Kandidaten, Übungen oder die Show insgesamt verrät oft nur überbordende Identifikation.

Weil doch angeblich heutzutage allenthalben solides Können, Eigensinn und die Fähigkeit zur Kooperation in heterogenen Gruppen besonders gefragt sind, wirkt das Lernprogramm der Castingshows seltsam antiquiert. Aber es zielt mitten hinein in eine große soziale Unsicherheit. Bildung sei der Schlüssel zur Zukunft, sagen alle – aber welche Bildung ist sinnvoll? Die offiziellen Zertifikate – ob Abitur, Bachelor- oder Masterabschluss – werden entwertet. Prekäre Beschäftigung und Traumjob liegen oft dicht beieinander. Man soll flexibel sein. Die Jobbiografie ändert sich. Das einmal Gelernte trägt nicht für den Rest des Lebens. Gerade der Berufseinstieg wirkt für viele wie Zufall. Heiß begehrt sind Tipps und Tricks für das Bewerbungsgespräch. Bekommt nicht tatsächlich meist der den Job, der sich am besten darstellen kann? Und ist es in der Wirtschaft nicht ähnlich? Kommt es beim Erfolg von Red Bull auf die Brause an oder auf das Marketing? Spielen Werbung, Imagebildung und Vertrieb nicht eine immer größere Rolle gegenüber der eigentlichen Substanz des Produkts? Warum soll das bei der Bildung anders sein? An vielen Hochschulen haben besonders die Kurse für Selbstvermarktung und Karriereplanung großen Zulauf. Es scheint eine generelle Tendenz im mentalen Kapitalismus zu sein, dass das Design das gute alte Sein etwas in den Hintergrund drängt.

Mit der Vehemenz von Autoritäten, die es geschafft haben und ein erfolgreiches Leben in Verkaufszahlen, Einschaltquoten, Aufmerksamkeit und Geld zu berechnen wissen, schreiben Bohlen und Klum das ihren barmenden Kandidaten hinter die Ohren. Und Daniela Katzenberger zeigt, dass dabei echt jeder mitmachen kann – man muss gar nichts können.

Der Autor hat die Studie „Hohle Idole – was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht“ im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung verfasst. Sie erscheint in der kommenden Woche.

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