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Medien: Supermann ist tot. Es lebe Sailor Moon

Comics kommen neuerdings aus Japan. Manga heißen sie, auch in Deuschland machen sie Millionenauflagen

Von Andreas Kötter

Superman und Asterix – das war gestern. Heute heißen Comic-Helden Sailor Moon, Ranma und natürlich auch Pokémon. Wenn schon „Spiegel“ und „Focus“ über Manga, die umstrittenen japanischen „Bildergeschichten über Sex, Gewalt und Romantik“ („Spiegel“) berichten, dann ist das ein Indiz dafür, dass die Manga-Welle aus Fernost längst nach Deutschland rübergeschwappt ist. Die lange stagnierende Comic-Branche macht durch den japanischen Kultur-Import Umsatzrekorde. Mehr als 150 neue Titel bringt zum Beispiel allein der Berliner Egmont- Ehapa-Verlag pro Jahr heraus. Schon vor zwei Jahren hatte man sich dort entschlossen, dem Thema gleich ein ganz neues Label innerhalb der Verlagsgruppe zu widmen: mit dem n „Egmont Manga & Anime Europe“.

„Die neue Generation der Comic-Leser hat mit den so genannten Autoren-Comics, die im edlen Hardcover daher gekommen, immer weniger am Hut“, heißt es bei Ehapa. Sie bevorzugen „das kleine handliche Taschenbuch, das locker in die Seitentasche der Skaterhose passt und auch mal eben schnell auf dem Klo für spannenden Lesestoff sorgt.“ Mara Sauer, zuständig für die Vermarktung der Manga, glaubt, „dass sich die Jugendlichen etwas suchen, das ihnen nicht von den Eltern vorgegeben wird“. Wenn der Vater also noch mal einen Blick in seine Spiderman-Sammlung wirft und die Mutter aus pädagogischen Gründen das neue Asterix-Album verschenkt, dann lesen die schon aus Opposition lieber „Dragon Ball“, das im Carlsen-Verlag rauskommt – mit einer Auflage von sechs Millionen die erfolgreichste Reihe in Deutschland.

Ob solcher für den Comic-Markt ganz und gar ungewöhnlichen Zahlen überrascht es nicht, wenn der Leiter des Hamburger Carlsen-Verlages, Joachim Kaps, von „einem dramatischen Umbruch“ spricht, weil nun nicht mehr die klassischen franko-belgischen Comicstrips wie „Tim und Struppi“, den größten Teil des Umsatzes ausmachen, sondern die Manga. Endlich habe man wieder einen wachsenden Markt und könne nun ganz neue Zielgruppen erreichen.

Kaufen, Lesen, Wegschmeißen

Woher aber kommt diese Euphorie um diese Bildergeschichten, die schnell auch mal Telefonbuchstärke erreichen, von hinten nach vorn und von rechts nach links gelesen werden, der Ästhetik des Kindchenschemas gehorchen und sich in Europa immer wieder den Vorwurf der Pornographie und der Gewaltverherrlichung gefallen lassen müssen?

Ihr Erfolg liegt wohl nicht zuletzt an den veränderten Sehgewohnheiten einer Generation von Kindern und Jugendlichen begründet, die mit der auf schnellen Konsum angelegten Ästhetik von Video-Clips aufgewachsen sind. Joachim Kaps jedenfalls, damals noch Herausgeber der mittlerweile eingestellten Fachzeitschrift „Comixene“, schrieb schon 1995: „Im Manga wird nicht Handlung durch Action, sondern Action durch Handlung unterbrochen…“ Und so rasant wie das Tempo der mit filmischen Stilmitteln erzählten Geschichten ist auch ihr Lebenskreislauf. Sie werden erdacht, produziert, gelesen und weggeschmissen in einer Art, dass es einem schwindelig wird. Schon deshalb urteilt der westliche Kulturbetrieb geringschätzig über ein Produkt, das es in Japan je nach Titel zu einer wöchentlichen Auflage von zwanzig Millionen bringt. Von den berühmt-berüchtigten 1,5 Sekunden Lesezeit pro Seite ist dann die Rede, davon, dass die expliziten Darstellungen von abnormen Sex-Fantasien mit Kindern in den Lolikon- Manga (von „Lolita“) das Papier nicht wert seien, auf dem sie gedruckt sind.

In Japan scheinen diese Bedenken weniger schwer zu wiegen. Dort liest jeder Manga, egal ob Kind oder Erwachsener, ob Arbeiter oder Chef, ob Mann oder Frau. Etwa 40 Prozent aller Druckerzeugnisse sind Manga. Es gibt sie speziell für Mädchen und für Jungen, für Sekretärinnen und für Hobby-Fischer und dank der Silber-Manga nun sogar für Pensionäre.

Der E–Manga: Dostojewski

Ob bei PC-Spielen oder in behördlichen Info-Broschüren und auf Geldautomaten, überall finden sich im Alltag Manga-Figuren. Und selbst ein Klassiker der japanischen Literatur, wie „Die Geschichte des Prinzen Genji“, ist als Manga erschienen. Sie gelten als anerkanntes Kulturgut, denn schon 1814 bezeichnete der berühmte Holzschnittmeister Katushika Hokusai eine Skizzensammlung mit humoristischen Alltagsbeschreibungen erstmals als Manga (der Begriff setzt sich zusammen aus den Schriftzeichen „man“ für „witzig, spontan, impulsiv“ und „ga“ für „Zeichnung, Bild“).

Mit einer Comic-Adaption von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ bereitete Osamu Tezuka 1953 dann den Boden für die modernen Story-Manga und damit für alle zeitgenössischen Autoren. Und Autorinnen, denn während auf den traditionellen Comicmärkten, in Belgien, Frankreich und den USA, Frauen weder als Produzenten noch als Konsumenten eine Rolle spielten, war das in Japan schon immer anders. Ganze Zeichenstudios werden hier vom weiblichen Geschlecht dominiert, etwa das Studio Clamp, dessen Autorinnen mit Serien wie „Card Captor Sakura“ zu den Stars der Szene zählen. Eine Emanzipation, die auch den deutschen Markt erreicht hat. Shojo (Mädchen-) Manga wie Sailor Moon haben großen Anteil daran, dass „bei den Manga mindestens 50 Prozent unserer Leser Mädchen sind, das ist bei traditionellen Comics unvorstellbar“, wie Mara Sauer sagt.

Dem Vorwurf, Manga würden nur Sex und Gewalt verherrlichen, begegnet die PR- Frau übrigens gelassen. „Der Egmont-Konzern folgt stets dem Leitmotiv der Familienunterhaltung. Daher sind unsere Titel mit Empfehlungen für die verschiedenen Altersgruppen gekennzeichnet und gerade bei den kindgerechten Manga findet nicht mehr Gewalt statt als in einem „Asterix“-Band, in dem ein paar Römer verdroschen werden.“

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