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Auf in den Kampf! Die Kommissare Martina Bönisch (Anna Schudt) und Jan Pawlak (Rick Okon) besuchen undercover einen illegalen Gladiatorenfight.

© WDR/Thomas Kost

"Tatort" aus Dortmund: Schwarz-gelbe Heiterkeit

Trocken im Humor: Im Dortmunder "Tatort" agieren die beiden Oberkommissare zwischen Nymphomanie und Verantwortungsbewusstsein.

Kommissar Fabers Psychiater ist verschwunden. „Bahamas“, erklärt sein Patient, der traumageschädigte Polizei-Wüterich Faber (Jörg Hartmann) seiner Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt). Der Seelenklempner habe wohl an ihm, dessen Frau und Kind einst einem Verbrechen zum Opfer fielen, genug verdient. Faber wirkt seltsam aufgeräumt.

Völlig unerwartet, aber unerbittlich breitet sich in diesem neuen Dortmund-„Tatort“ von Beginn an schwarz-gelbe Heiterkeit aus. Am Titel der neuen Folge kann das nicht liegen. Der heißt „Tod und Spiele“ (Regie: Maris Pfeiffer, Buch: Wolfgang Stauch), was nach Kolosseum, ewigem Rom und der Hochdrucktragik klingt, die sonst die Ruhrpottplots umwittert. Diesmal: Keine psychische Aufarbeitung der Seelenschäden, keine soziale Depression, keine Wutausbrüche, wenig Tränen. Stattdessen: trockener Humor, Lust ohne Moral, Ironie ohne Korrektheit, schöne Farben, Maskenball, Knabenunschuld. Ein Hauch Albernheit von Münster und seinen Pathologenspäßen her weht durch Dortmund.

Der Westfale, sagt man, ist bodenständig. Kohle und so. Rote Erde hieß einst ein legendäres Dortmunder Stadion, bis die Borussia das Fliegen lernte. Da passt es, dass Bönisch und Faber zu Beginn zum Einsatz in eine Grube unter einem alten Industriegebäude einfahren. Darin puzzelt die polizeiliche Leichenfachfrau Leitner (Sybille J. Schedwill) mit verkohlten Knochen. War es ein Toter, waren es zwei Tote? Warum zeigen die Gliedmaßen so viele Verletzungen? Faber bleibt gelassen, der Wind der Ironie, das himmlische Kind, kommt ihm über die Lippen. Er murmelt etwas von „Grillfest“. Wenn das bis auf die Bahamas vordränge.

Ein Hotelschlüssel findet sich außerdem in der Grube. Da feixt Faber, jetzt ist Frau Bönisch dran. Das Schließgerät weist auf ein Mittelklassehotel hin, in dem die blonde Singlefrau einst außerpolizeilichen Lustbarkeiten nachging, die Faber säfteln machen: Sie soff dort nach Dienstschluss und ließ sich mit Männern ein. Therapieren ließ sie sich nicht, weil: „Is privat“. Für den durchgedrehten Faber, dessen Welt in Trauer versank, ein Unding, sich nicht professionell helfen zu lassen. Wohl als erster Erfolg der Trauerbewältigung wagt Faber einen Blick auf die amoralische Vitalität seiner Kollegin. Er wird eifersüchtig auf Bönisch. Er wird wieder Mann. Er wird Mensch.

Zwei Königskinder im Einsatz gegen das Verbrechen

Das ist – man muss es sagen – meisterhaft gespielt. Die Erweckung der Leidenschaft, der seelische Striptease zweier Königskinder im Einsatz gegen das Verbrechen, die lernen, wie tief das Wasser bis zu echter Liebe ist. Sie tun es nicht, vielleicht werden sie es nie tun. Schudt spielt ihre Nymphomanie zurückhaltend und doch unwiderstehlich aus. Scheinbar sachlich agierend signalisieren Mund und Augen dauerndes weibliches Verlangen, das Fernsehen Frauen eigentlich nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Und Hartmann sieht man an, wie er, von psychischen Lasten befreit, das wird, was seine Rolle bisher nicht hergab: ein verantwortungsvoller und sich seiner Schüchternheit bewusster Mann.

Das keusche Paar Bönisch und Faber bekommt ein Kind, wie es in Krimidrehbüchern gezeugt wird. Unterm Bett im Zimmer der Bönisch-Lust-Absteige liegt ein asiatisch aussehender Junge (Cicil Schuster). Es stellt sich heraus, dass er Sohn eines verbrannten Leichenmannes ist. Als Spross eines Kampfsportlers zeigt sich der Knabe nicht als Heulsuse, sondern als ein verschlossener kleiner Teufel. Verantwortung für ein Kind ist eigentlich das Letzte, was Polizisten wie Bönisch und Faber aushalten. Bönisch flieht sofort an die Erkundungsfront des Hotels, wo ein russischer Oligarch (Samuel Finzi) mit seiner Entourage residiert und für die Polizistin zum Objekt sowohl polizeilicher Beobachtung als auch weiblicher Lust wird. Faber muss sich dem Knaben stellen. Er tauft das über seine Herkunft schweigende Kind „Kleinkhan“ und stellt sich selbst als „Großkhan“ vor. Khan so was sein? Ansonsten bleibt Faber distanziert und hält sich das Kind vom Leibe. Nora Dalay (Aylin Tezel), die eigentlich kampfeslustige Google-Kollegin im Team, wird als Nurse für „Kleinkhan“ abgestellt. Der neue Kollege, Jan Pawlak (Rick Okon), darf an die Front und unter Kampfsportlern einen Kronzeugen akquirieren. So geht Gleichberechtigung.

Denn Männer aus Russland kämpfen in einer geheimen Dortmunder Arena gegeneinander wie einst die Gladiatoren: auf Leben und Tod. Eintritt nur mit Masken. Nein, eine tieftraurige und schwerrelevante Tragödie über russische Oligarchen-Brutalität will „Tod und Spiele“ zum Glück nicht sein. Es herrscht fast Pro-Russia-Dortmund-Stimmung. Am Ende gibt es Geldkoffer und Paten-Sanftmut. Und ein keusches Paar, das nicht im Seelensumpf versinkt, solange es einem Therapeuten auf den Bahamas gefällt.

„Tatort“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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