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Der verdeckte Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) nimmt seinen vorletzen Fall sehr ernst.

© NDR/Hannes Hubach

"Tatort" aus Hamburg: Ins Gebet genommen

Ein Jahr bemerkenswerter ARD-Krimis endet mit einem Terror-„Tatort“: Mehmet Kurtulus taucht in seinem vorletzten Fall als Undercover-Mann Cenk Batu in die Islamisten-Szene ein. Doch die Geschichte ist allzu vorhersehbar.

Im inoffiziellen Wettbewerb „Welcher Primetime-Krimi springt am meisten aus dem Rahmen?“ hat das Jahr 2011 Erstaunliches zutage gefördert. Vor kurzem durfte Ulrich Tukur als schwer kranker LKA-Ermittler Murot in einer irren Edgar-Wallace-Hommage ran, im „Polizeiruf 110“ saß der neue Münchner Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) nach einem schrecklichen Attentat in einem Fußgängertunnel stundenlang an der Seite des verblutenden Terroristen und schockierte damit die öffentlich-rechtlichen Jugendschützer. Heute ermittelt der Hamburger Undercover-Mann Cenk Batu alias Mehmet Kurtulus in einem „Tatort“, in dem es noch nicht mal einen Mord gibt. Dafür wiederum islamistische Kreise, eine Terrorzelle in Hamburg, die Batu zur Vermeidung eines Anschlags infiltrieren soll.

Sieh an, die ARD traut sich was zu, beim Lifting ihrer klassischen Krimis. Sicher, da gibt es auf der einen Seite immer noch diese typischen „Tatort“-Klischees: verkrampfte Sozialkritik, die üblichen Verdächtigen mit Verbindungen in die skrupellose Politik, stereotype Ermittler, möglichst gegensätzlich, damit in jeder Folge Streit & Spaß aufkommen, Autofahrten vorbei an Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Stadt, am besten immer noch die „Currywurst“-Bude am Rhein mit Blick auf den Dom am Ende eines jeden (!) Kölner „Tatorts“. Auf der anderen Seite ist mit den Ermittlern Joachim Król, Nina Kunzendorf, Tukur, Brandt, Maria Simon oder demnächst Devid Striesow viel frischer Wind auch in die Redaktionsstuben der ARD-Krimis gekommen.

Mehmet Kurtulus war auch so ein starker Charakter, der seit 2008 etwas bewegt hat. Ein verdeckter Ermittler als Krimiheld, das lässt sich nicht endlos erzählen. Irgendwann weiß jeder Gauner/Mörder/korrupter Politiker an der Elbe, wer und was sich hinter diesem Gesicht verbirgt, dann ist es aus mit der Tarnung. Trotzdem schade, dass Batu nach nur sechs Folgen gehen wird. Der in der Türkei geborene Schauspieler will sich auf internationale Filmprojekte konzentrieren. Und schade auch, dass „Der Weg ins Paradies“, Batus vorletzter Fall, unter der Regie von Genre-Spezialist Lars Becker („Nachtschicht“) über mögliche Nachwirkungen von 9/11 gut gemeint, aber recht dick aufgetragen ist. Merke: Ein Undercover-Mann darf niemals lächeln, vor allem, wenn er sich bei seinen Brüdern in einer Terrorzelle für höhere Aufgaben empfehlen will! Auch dann nicht, wenn ihn sein deutscher Boss an der Laderampe dazu auffordert: „He, warum bist du immer so traurig, du betest doch so viel?“ Allzu schwarz-weiß gezeichnet, allzu vorhersehbar, diese Geschichte um den deutschen Konvertiten Christian Marshall (schneidig: Ken Duken), die Verwandlung Cenk Batus in einen radikalen Moslem mit markantem Bart, dessen Annäherung an die Extremisten im Männerwohnheim, das Kompetenzen-Wirrwarr zwischen Batus Chef Kohnau (Peter Jordan) und BKA-Mann Oswald (herrlich schmierig: Martin Brambach), die Anschlags-Vorbereitungen auf ein großes Hamburger Hotel.

Wie gesagt, es gibt in diesem „Tatort“ keinen Mord mehr. Dafür reichlich Musik zur dramatischen Untermalung. Das hätte ein Al-Qaida-Video im Internet kaum dräuender hinkriegen können. „Was machst du hier eigentlich?“, fragt Batus neue Freundin einen der ungewöhnlichsten „Tatort“-Ermittler. Gute Frage. Mal wieder lächeln. Raus aus dem ungemütlichen Appartement im anonymen Hochhaus. Privatleben. Hollywood. Die „Bild“ hat schon verraten, wie Batu/Kurtulus in seinem letzten Fall, der im März 2012 ausgestrahlt wird, stirbt. Demnächst kommt Til Schweiger als „Tatort“-Kommissar nach Hamburg. Das ist an sich schon bemerkenswert.

„Tatort – Der Weg ins Paradies“, ARD, 20 Uhr 15.

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