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Allein unter Männern. Auf dem Weg durch die JVA zur Direktorin ist der Weg der Kommissarsassistentin Franziska (Tessa Mittelstaedt) von Pfiffen und Johlen begleitet. Foto: WDR

© WDR/Martin Valentin Menke

"Tatort" erst um 22 Uhr: Die Gewalt im Kopf

Aus Jugendschutzgründen soll der „Tatort: Franziska“ erst ab 22 Uhr im Ersten laufen. Ist der Bruch mit der 20-Uhr-15-Tradition tatsächlich gerechtfertigt?

Sonntag, 20 Uhr 15. Nach der „Tagesschau“ folgt der „Tatort“, das ist ein Ritual, so unverrückbar, so unumgänglich wie der Schwips des stolpernden Butlers am Silvesterabend. Same procedure as every Sunday. Aber am 15. Dezember 2013, nach 43 Jahren und knapp 900 Folgen, wird das Unerhörte geschehen: Die ARD den frischen Krimi erstmals ab 22 Uhr. Freiwillig aus Jugendschutzgründen, obwohl sie damit das Risiko einer niedrigeren Einschaltquote eingeht. „Dieser Film ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“, wird es in der Einblendung heißen. Ein Präzedenzfall, jedenfalls für den „Tatort“. Zuvor waren bereits das preisgekrönte Jugendgewalt-Drama „Wut“ (2006) und der „Polizeiruf 110: Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (2011) über einen Terroranschlag in München auf 22 Uhr verschoben worden.

Die WDR-Folge „Franziska“ war am Sonntagabend vor geladenem Publikum erstmals zu sehen, als Eröffnungsfilm des Kölner Film- und Fernsehfestivals Cologne Conference. In vielen anderen Krimis gibt es weit mehr Leichen, fließt auch mehr Blut. Aber die Frage, welche Gewaltdarstellungen besonders erschüttern (und Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnten), lässt sich nicht erbsenzählerisch abmessen. Es geht nicht nur darum, was sich auf dem Schirm, sondern was sich im Kopf abspielt. „Franziska“ zählt zu diesen Filmen, die – lange bevor es zu einem dann auch gewalttätigen Ende kommt – die Fantasie des Zuschauers ungemütlich anfeuern. Ein beängstigend guter Krimi.

Es kommt zum Psychoduell zwischen Geisel und Geiselnehmer

Der WDR beschert jedenfalls der Schauspielerin Tessa Mittelstaedt einen fulminanten Abschied von ihrer langjährigen Rolle als rechte Hand der Kölner Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär). Mittelstaedt alias Franziska Lüttgenjohann arbeitet in „Franziska“ neben ihrem Job bei der Mordkommission auch als Bewährungshelferin und betreut einen Häftling kurz vor dessen Entlassung.

Daniel Kehl hat vergewaltigt und gemordet, aber im Gefängnis hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch nimmt er Lüttgenjohann bei ihrem Besuch im Knast als Geisel. Kurz zuvor war ein Häftling erstochen worden, und Kehl scheint zu befürchten, dass man ihm die Tat in die Schuhe schieben will.

„Franziska“ ist in erster Linie ein intensives Kammerspiel, an 20 Drehtagen in einer leer stehenden Düsseldorfer Haftanstalt produziert, ein zunehmend beklemmendes Psychoduell zwischen Geisel und Geiselnehmer. Und wie bösartig gut war die Idee, den Verbrecher Kehl mit dem harmlos und immer ein bisschen skurril wirkenden Hinnerk Schönemann zu besetzen! So sind es nicht brutale Gewaltausbrüche, die einem als Zuschauer den Atem rauben, sondern es ist die dramaturgische Schlinge, die sich langsam zuzieht. Und, natürlich: „Franziska“ ist kein Film, der harmonisch an der Würstchenbude am Rhein endet.

Der Regisseur steht ohnehin nicht für Fernsehdurchschnittsware

„Man sieht den Film brutaler, als er ist", sagte Regisseur Dror Zahavi nach der Vorstellung in Köln zu Recht. Die Filme des 54-jährigen in Berlin lebenden Israelis („Zivilcourage“, „Kehrtwende“, „Und alle haben geschwiegen“) stehen ohnehin nicht für Fernsehdurchschnittsware, die man noch schneller vergisst, als man zugucken kann.

In „Franziska“ treiben er und Drehbuchautor Jürgen Werner, ein alter Krimi-Hase, die Spannung nicht durch immer neue Action voran, sondern sich langsam steigernd auf die Spitze. „Psychische Gewalt hat eine unglaubliche Kraft“, sagte Werner. Keiner von beiden wollte die Verschiebung des Films kritisieren, auch wenn Zahavi bekannte: „Als Regisseur tut's mir leid, wenn zwei Millionen weniger zuschauen, aber ich kann die Entscheidung verstehen.“

Die Verschiebung ist nachvollziehbar

Die Verschiebung erscheint tatsächlich nachvollziehbar, die Entscheidungsfindung dagegen weniger. Während Privatsender Stoffe, die den Jugendschutz berühren, der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorlegen müssen, wird das Thema bei öffentlich-rechtlichen Sendern intern verhandelt. Der Jugendschutzbeauftragte berät und spricht Empfehlungen aus. Auch die Entscheidung über die Verschiebung von „Franziska“, hieß es beim WDR, habe letztlich die Redaktion getroffen. „In kollegialem Miteinander“, wie Redakteur Frank Tönsmann betonte. Tönsmann wies die Kritik zurück, der Sender wolle den Kriminalfilm „zur Seite schieben“. Eine andere Schnittfassung, ein „Zerstückeln des Films“, sei nicht infrage gekommen.

Eine schriftliche Stellungnahme des Jugendschutzbeauftragten zu dem in der Geschichte der ARD doch einzigartigen Fall ist allerdings nicht zu erhalten. „Die Gespräche zu ,Franziska' zwischen Redaktion und Jugendschutzbeauftragtem fanden mündlich statt“, teilte eine WDR-Sprecherin mit.

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