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Lebemann.

© Bayerischer Rundfunk

"Tatort": Frauen, Koks, Alkohol

Da wird kaum ein Araber-Klischee ausgelassen: Der neue Münchner „Tatort“ fußt auf der Biografie eines Gaddafi-Sohns.

Ein deutscher Kult–Krimi, in dem ein Mitglied der Gaddafi-Familie spielt? Nein, so weit ist es noch nicht. Wer sich allerdings den neuen Münchner „Tatort“ ansieht, könnte sich zumindest an die jüngere Geschichte der bayerischen Hauptstadt erinnert fühlen. Denn aus ihr bezieht „Der Wüstensohn“ einen ordentlichen Teil seines thematischen Grundgerüstes. Und deshalb müssen die Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) dieses Mal im arabischen Botschaftermilieu ermitteln. Unterstützt werden sie dabei vom jungen Polizisten Kalli (Ferdinand Hofer), der demnächst fester Bestandteil der Münchner „Tatort“-Ermittler werden soll.

Nasir al-Yasaf (Yasin el Harrouk) ist der fünfte Sohn des Emirs von Kumar, Sprössling eines steinreichen Scheichs und Diktators. Er wohnt in einer schachtelartigen Stein-Glas-Kombination, die so hässlich nur im Münchner Nobelviertel Grünwald stehen kann, rast nachts im Ferrari mit 200 Sachen über den Mittleren Ring und ist auch sonst den Freuden des Lebens (Frauen, Koks, Alkohol) nicht abgeneigt.

Verblutet im Ferrari

An der Uni ist Nasir für BWL eingeschrieben. Die Kurse besucht allerdings sein bester Freund Karim für ihn, denn Nasir hat’s nicht so mit Zahlen. Doch dann ist Karim plötzlich tot, erschossen, und verblutet ausgerechnet auf Nasirs Ferrari-Beifahrersitz. Dieser Beifahrersitz wiederum zählt zum Kumarischen Staatsgebiet, weil Nasir Botschafterstatus genießt. Das macht die Ermittlungen für die Kommissare Batic und Leitmayr auch nicht unbedingt leichter.

Abgesehen vom toten Freund im Ferrari haben sich die Drehbuchautoren Alexander Buresch und Matthias Pracht bis dahin eins zu eins an die Lebensgeschichte des Gaddafi-Sohns Saif al-Arab gehalten. Auch er lebte rund vier Jahre als „Student“ in einer Münchner Nobelvilla, war berüchtigt für seine nächtlichen Autorennen und Party-Exzesse; sammelte deshalb Dutzende Strafanzeigen. Für den „Tatort“-Plot wurden lediglich Herkunft, Name und Rangfolge verfremdet: Nasir ist im Film der wenig einflussreiche fünfte (Problem-)Sohn des Emirs von Kumar. Saif al-Arab war der wenig einflussreiche sechste (Problem-)Sohn Gaddafis. Sogar die ominösen, illegalen Waffengeschäfte, die Batic und Leitmayr langsam aufdröseln, haben real stattgefunden. Lange nicht so drastisch wie im „Tatort“, sicher. Doch Schiebereien hat es gegeben. Buresch und Pracht müssen froh sein, dass Saif al-Arab dem sonst so beschaulichen München eine derart krimi-taugliche Startrampe hinterlassen hat.

Weil Filme aber meist auf dem „Bigger-than life“-Prinzip basieren, muss im „Wüstensohn“ natürlich noch etwas höhergestapelt werden. Dies geschieht mit Vorliebe in einem eher gezwungen in die Geschichte integrierten arabischen Teppichladen. Batic und Leitmayr müssen dort das wohl älteste und gleichzeitig unglaubwürdigste Ablenkungsmanöver der Menschheitsgeschichte starten: Während Leitmayr nach Beweisen sucht, heuchelt der arme Batic mühsames Interesse für sündhaft teure, handgeknüpfte Afghanen auf Seidenraupen-Basis. Nur um am Ende der Visite kurz angebunden festzustellen: So ein Orientteppich passt farblich halt doch nicht zum restlichen Einrichtungskonzept.

Dennoch sind es genau diese kleinen Momente des barschen Bayern- und Polizistentums, die den „Wüstensohn“ wieder erden. Das ist auch nötig, denn inzwischen spielen zusätzlich ein schmieriger, kumarischer Konsul, ein stöckelbeschuhter Homosexueller, die „Ungläubige“ Michaela und ein bayerischer Staatssekretär immer raumgreifendere Rollen. Dass Emir-Sohn Nasir außerdem eineinhalb Stunden lang grimmig wie Saladin aus dem immergleichen Anzug schauen muss, Frauen nicht respektiert und auch sonst beliebte Araber-Klischees bedient – nun ja. Der „Tatort“, lebensgroß begonnen, nähert sich seinem überlebensgroßen Finale.

Am Ende bleibt die große Ungewissheit über Gut und Böse, ein Ferrari und 200 Sachen auf Münchens nachtdunkler Stadtautobahn. Der Wüstensohn fährt, nein, rast ins Ungewisse. Gaddafis Sohn Saif al-Arab, der Nasirs Figur mehr als überdeutlich Pate stand, ereilte dieses Schicksal bereits im April 2011. Er starb damals bei einem Nato-Luftangriff auf Tripolis.

„Tatort: Der Wüstensohn“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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