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Hiergeblieben! Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) will die Schülerin Nadine Wilcke (Emma Drogunova) befragen. Als sie ihn einfach stehen lassen will, versucht er sie daran zu hindern. Sie wird behaupten, er habe sie sexuell belästigt.

© WDR/Thomas Kost

"Tatort" Köln: Mobbing bis zum Mord

Schwulsein unter Jugendlichen, MeToo unter Kollegen: der Kölner „Tatort“ sucht die Aktualität.

Jan ist tot. Zusammengeschlagen, aus dem Fenster geworfen, nackt liegt er im Herbstlaub. Das wird ein schwieriger Fall für Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und zudem ein schwerer für seinen Kollegen Freddy Schenk (Dieter Bär).

Jan war Mitglied einer Schülergang, zu der auch Nadine Wilcke (Emma Drogunova) gehört. Sie kennt das Spiel von Rufmord à la MeToo. Bei einer ersten Befragung behauptet sie in die Handys ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler hinein, Schenk habe sie an die Brüste gefasst. Hat er nicht, aber wie wird Mann den Verdacht wieder los? Kolleginnen und Kollegen beginnen ihn zu meiden, ausgerechnet an seinem Geburtstag, weitere Vorwürfe sexueller Belästigung bekommt er unter die Scheibenwischer seines Autos geklemmt; Dienstaufsichtsbeschwerde, Disziplinarverfahren, Personalrat, die ganze Klaviatur an Maßnahmen und Verdächtigungen trifft Schenk. Nur wenige in der Kölner Dienststelle halten zu ihm. Vorneweg Max Ballauf.

Das Drehbuch von Johannes Rotter lässt die MeToo-Story sehr geschickt am Rand der Fahndung mitlaufen, um im Finale das Thema in den Fall einzupflegen. Weder sexuelle Belästigung noch Mobbing noch das eigentliche Mordmotiv, (Jans) Homosexualität, wirken aufgesetzt, zum Thesenfilm hochgeschrieben. Der „Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade“ kommt klassisch daher.

Umgang mit Schwulsein

Das Schwulsein unter Jugendlichen steht im Zentrum. Problematisiert wird nicht das Schwulsein selbst, sondern der Umgang damit. Die Forderungen und Herausforderungen, die sich daraus ergeben, das Verlangen, der Verzicht, der Verlust, die Verlustangst. Solche und mehr Perspektiven verteilt Rotten über die Clique – die längst zerfallen ist. Aus Freundschaft wird Nahkampf, aus Feindschaft Mord. Jugend und Homophobie fühlen sich in diesem Krimi wahr an.

Großer Themenradius, der im kleinen Kreis behandelt wird. Schule, Kommissariat, Wohnhaus, mehr braucht es nicht für den „Tatort“. Regisseur Felix Herzogenrath übersetzt diese Dimension in große Eindringlichkeit. Die Kamera von Gunnar Fuss ist sehr nahe am Geschehen, nimmt die Figuren nicht selten ins Close-up-Gebet.

Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär agieren nun schon seit 1997 zusammen im Kölner „Tatort“. Ihr Schauspiel zeigt keine Ermüdung noch Nachlässigkeit, der neue Fall führt vor Augen, wie sehr sie in ihre Kommissare hinein- und mit ihnen gewachsen sind. Ein hoher Reifegrad ist ihnen zu eigen, dieses Punktgenaue lässt keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Darstellern und Dargestelltem. Und doch fühlen sich Ballauf und Schenk aus der Zeit gefallen, wenn sie erleben müssen, wie Kollegialität (MeToo!) geht und kommt, wie schnell aus einem Verdacht vermeintliche Gewissheit wird. Die Unschuldsvermutung wird selbst in Polizeikreisen zur Schuldvermutung.

„Diese Welt ist nicht für uns gemacht – wir sind für sie gemacht“, sagt Ballauf mit Blick auf die nachträglich Schenks Geburtstag feiernden Kollegen. Schenk erwidert: „Reinpassen muss man.“ Schon die Auflösung der Mordtat spielte auf dieser Resignationsebene.

Sicher im 90-Minuten-Rahmen

Was an diesem „Tatort“ gefällt: Er bewegt sich mit großer Sicherheit im 90-Minuten-Rahmen. Er tritt nicht über die Ufer, nichts wirkt in diese Produktion hineingestopft oder ihr übergestülpt – wobei trotzdem der enge Handlungszirkel nicht zur Verzwergung führt. Ernst bleibt ernsthaft, Figuren bleiben Menschen, Jugend ohne Kompass, Schenk in der Erklärfalle.

So ein Fall muss auf der Buchebene funktionieren. Johannes Rotter lässt der Schülerclique ihren Selbstwert, ihr Selbstbewusstsein, ihre Selbstverzweiflung. Da ist für die Kommissare schwer Land zu gewinnen. Moritz Jahn, Justus Johannsen, Thomas Prenn und andere spielen ihre Parts bemerkenswert; insbesondere Emma Drogunova arrondiert ihre Nadine Wilcke zwischen Femme fatale und verlorenem Mädchen.

So ein Fall muss auf der Ebene der Inszenierung funktionieren. Tut er, Felix Herzogenrath optioniert in allen Beteiligten-Blasen die Möglichkeiten von Gewinn und Verlust, von Sieg oder Niederlage, rau, intensiv, aufgeladen. Die Täterfrage wechselt hin und her, was die Spannung in die Auflösung nur intensiviert. „Kein Mitleid, keine Gnade“ herrscht zwischen den Menschen, krass bei den Jugendlichen, spürbar im Kommissariat.

PS: Wie lange lässt der WDR Hauptkommissar Schenk noch in diesem Sprit fressenden Ami-Schlitten durch Köln fahren?

„Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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